Donnerstag, 10. April 2008

Gegen die Frührente

Ohne Scheiß. Das neue R.E.M.- Album ist ziemlich stark geworden.

Das ist ja mal eine angenehme Überraschung. R.E.M. beschleunigen. Von 0 auf 100 in knapp 30 Minuten. Da laufen ja so älter werdende Künstler gern mal Gefahr, im Alter ruhiger zu werden, auf Altbekanntes zu setzen oder sich lieber um die Privatvilla oder so kümmern. Doch anscheinend nicht so R.E.M.! Überall hört man ja schon die überschwänglichen Kritiken zu „Accelerate“. Von der Neuerfindung der Band sei da die Rede. Nun, das kann ich jetzt nicht unbedingt beurteilen, weil ich mich bisher zu wenig mit dieser Band beschäftigt habe. Aber allein das scheint ja schon mal ein Verdienst der Band zu sein… ich beschäftige mich mal intensiver mit einem Album von ihnen… und schau an: es gefällt mir. „Accelerate“ ist eine richtig gute Platte, die überhaupt nicht wirkt, als käme sie von einer Band die ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel hat. Sicher, es ist keine Neuerfindung des Rates, sondern, insofern ich das beurteilen kann, immer noch der klassische R.E.M. Sound. Songs wie „Houston“ oder „Until the Day Is Done“ kennt man in der Form ja, aber Songs wie „Living Well Is The Best Revenge“, „Man-Sized Wreath” oder der Titeltrack geben richtig Gas. Songs um die 3 Minuten, gern auch mal drunter. R.E.M. mögen es kurz und knapp auf diesem Album, was dem Sound sichtlich gut tut. Keine unnötige Sülze, keine erzwungenen Klavierballaden. Die Band wirkt frisch, wirkt wütend, politisch, nicht wie eine Band, die sich abfinden will. Ein leuchtendes Vorbild, weil man den Herren mit jeder Note anhört, dass sie auch jenseits der 50 noch keine Ruhe geben wollen. Michael Stipe klingt wütend wie selten und auch Peter Buck haut ordentlich in die Seiten. Klar, jetzt kann man keinen Hardrock oder schrammliges Arctic Monkeys-Gerocke erwarten. Muss man ja nicht. Es sind ja immer noch R.E.M. Aber auf ne andere Art, als ich die Band bisher war genommen hab. Das ist wunderschöner, klassischer amerikanischer Indie-Rock, der eigentlich nicht wirklich klingt, als will er sich anpassen. Die Band, die seit Jahren den Spagat zwischen Independentrock und Formatradio schafft hat einmal mehr bewiesen, dass sie sich nicht verbiegen lässt. Also als genüssliche Altherren- oder Bügelmusik kann man „Accelerate“ in keinster Weise bezeichnen. Diese Band hat noch Feuer in den Augen. Wenn man ein Album mit einem so verrückten 2minütigen Song wie „I’m Gonna DJ“ enden lässt, dann merkt man halt, das das Trio nicht in der Vergangenheit lebt, sondern tagesaktuell ist. 2008 klingen R.E.M. so interessant, wie lange nicht mehr. Und das sie mich dazu bewogen haben, mich mal intensiver mit der Band zu beschäftigen dürfte als Lob für „Accelerate“ mehr als genügen.

"Supernatural Superserious" (Video)

"Living Well Is The Best Revenge" (Acoustic Video)

"I'm Gonna DJ" (Bootleg Live Video)

The Songs That Saved my Life - Teil Sechs

Damit haben wir die 30 voll. Persönliche Favouriten von mir in der Nahansicht.



#26 / The Arcade Fire “Rebellion (Lies)”

Bumm! Bumm! Bumm! Es ist ein stampfender Beat, der uns in die letzte Runde meiner All-Time-Favourite-Songs einführt. Langsam baut sich der Song auf… „Sleeping in is giving in“… In knapp 2 Jahren haben es Arcade Fire vom Nichts zu einer der wichtigsten und essentiellesten Bands des ganzen Planeten geschafft! Ihre beiden Alben „Funeral“ und „Neon Bible“ sind zerschütternde Meisterwerke, die sich schon jetzt vordere Plätze sichern, wenn es um die Wahl zu den besten Platten des ausgehenden Jahrzehnts geht. Und sie haben viele gute Songs, aber ihr bester bleibt (wenn auch nur knapp vor all den anderen Hymnen) „Rebellion (Lies)“, jenes Bombast-Feuerwerk, den David Bowie, meines Wissens, auch für einen der wichtigsten Songs der letzten Jahrzehnte hält. Recht hat er, der alte Mann. „Rebellion“ strotzt vor Größe, Anmut und gleichzeitiger Energie. Win Buttler und seine Truppe schreien ihre Wut heraus… „Everytime you closer your eyes… Lies! Lies!!!“ und bleiben dabei zu jedem Zeitpunkt würdevoll. „Rebellion“ ist eine Hymne, ein Aufbegehren. Vielleicht das „My Generation“ der MySpace-Generation. Gut, wage These, aber es ist was dran. Denn Arcade Fire sind politisch und entwaffnend ehrlich. Sie machen den Soundtrack für eine zerschütterte Welt voller Angst und Wahnsinn. Auf anderen Songs, besonders beim zweiten Album, wird das deutlich. „Rebellion“ ist ein Aufschrei. Voller Inbrunst, mit Chören, Streichern, Pauken und Gitarren. Arcade Fire haben eine Musikalität auf so hohem Niveau, dass sich einfach die ganze Welt drauf einigen muss. Würden mehr Menschen ihre Musik hören und sie verstehen, dann wäre diese Welt kein so schlimmer Ort. Andererseits wären Arcade Fire dann auch irgendwie unnötig und Songs wie das epochale „Rebellion“ würden ihren Reiz verlieren. Ein seltsames Paradoxon. Vielleicht schreibt die Band ja mal einen Song darüber.

Release: 2005 / Album:Funeral, Video ansehen


#27 / Olli Schulz und der Hund Marie “Rückspiegel”

Oho… man spricht Deutsch! Das ist ja jetzt auch keine Selbstverständlichkeit. Gut, ich geb’s zu, ich hab mit deutschsprachiger Musik so meine Probleme. Ich meine, es gibt natürlich immer Ausnahmen, weil ich nen guten Song erkenne, egal in welcher Sprache. Aber auf der einen Seite wurde ich mit britischer Musik sozialisiert und zum anderen reicht die deutsche Musik selten an deren Qualität ran. Aber es kommt vor. Und ich meine, es ist immer noch meine Muttersprache. Nützt ja nichts. Aber wenn dann noch jemand umher kommt und in meiner Sprache über mein Leben singt, dann ist das schon was Besonderes. Das schafft vielleicht maximal noch der olle Thees. Dessen Bandkollege ist ja der Hund Marie, womit wir auch schon bei der Überleitung sind. Dieser hat mit seinem „Herrchen“, dem Herrn Schulz einen Song aufgenommen, der „Rückspiegel“ heißt und den ich (neben „Kopf Zwischen Sterne“ von PeterLicht) für den besten deutschsprachigen Song überhaupt halte. Im Fall von „Rückspiegel“ einfach, weil nahezu 100% des Textes Zustimmung finden und fast schon autobiographisch für mich sind. Das schafft eigentlich in der Form kaum einer. Und dann auch noch in den richtigen, deutschen Worten, das es nicht peinlich wirkt. Mit markanten Momenten wie „Wie hässlich werden Menschen, wenn sie gar nichts mehr bewegt“ oder „Schmeiß den Wagen an, der Wind zieht übers Land. Schau nicht länger hin, wo die anderen sind“. Ein Song über Abschied, Neuanfang, der Suche nach irgendwas… dem „Platz“ vermutlich und die Erkenntnis, das sich die Zeit nicht mehr zurückdrehen lässt. In diesen knapp über 3 Minuten steckt soviel Wahrheit, so viel Tiefgründigkeit. Dennoch hat der Song etwas leichtes, keine bedrückende Schwere, sondern auch irgendwie eine gewisse Aufbruchstimmung. Ich glaube, jeder sollte den Song hören oder sich zumindest den Text durchlesen um zu schauen, ob der Song eine ähnliche Wirkung auf ihn haben kann. Ansonsten nehmt doch einfach was von Tocotronic ;-)

Release: 2006 / Album:Warten auf den Bumerang, Bei last.fm anhören


#28 / Bloc Party “Uniform”

Wer mich ein wenig kennt, der wird sich fragen „Wo bleiben denn eigentlich Bloc Party in der Aufzählung?“ Ta-dah! Hier! Genau hier! Jenes Quartett aus London, welches vermutlich (und diesmal wirklich) DIE wichtigste Band für mich in den letzten 3 Jahren war und heute auch immer noch ist. Die Band, die meinen musikalischen Horizont mit ihrem Debüt „Silent Alarm“ entscheidend erweitert hat und mit dem Nachfolger „A Weekend In The City“ aller Voraussicht nach das entscheidende Album der letzten 10 Jahre aufgenommen hat. Ja, ein Superlativ jagt den nächsten, aber ich vertrete die alle. Bloc Party vereinen all das, was ich an Popmusik lieber. Sie sind sowohl sehr gefühlvoll und melancholisch, als auch laut und engergiegeladen. Ihre Musik ist düster, wirkt bedrohlich, aber doch irgendwie heimisch. Sie klingen frisch, legen sich nicht auf musikalische Gewohnheiten fest (siehe „Flux“). Ihre Songs sind politisch, aufwühlend, haben Tiefsinn und haben mir im Leben sehr, sehr geholfen. Bloc Party sind die essentiellste Popband der Welt. Zu rockig für normalen „Pop“, aber auch zu vielseitig, als das man sie mit normalen Rockbands gleichsetzen kann. Das alles in einem Song zu vereinen ist schwer. Sie haben fast ausnahmslos geniale Songs. Am Ende ist mir „Uniform“ der wichtigste. Ein flammendes Plädoyer gegen die kommerzialisierte Individualisierung, gegen all diese Menschen, sie denken, sie seien „alternativ“, die aber dann doch irgendwie nur Teil einer Bewegung sind. Und gegen all die unwissenden, kleingeistigen. Ein Song über die Sinnlosigkeit des Teenager-Daseins. „We’re finding it hard to untie ourselves, we have nothing at all to say“ schreit Kele Okereke heraus. Aus dem melancholischen Anfang wird zur Hälfte des Songs eine schnelle, wütende Anklage gegen die sogenannte Jugendkultur da draußen. Ein Song gegen die Bedeutungslosigkeit für die Individualität. Eine bewegende Nummer. Allein das diese Band dieses Thema in so einem Song anspricht und damit letztendlich sogar einen Teil ihrer eigenen „Fans“ angreift, ist beeindruckend. Die betroffenen Personen merken es vermutlich nicht mal. Das ist das Problem. Das spricht für die Welt, wie sie Bloc Party schildern. Ein besseres Argument für diese Musik gibt es nicht.

Release: 2007 / Album:A Weekend In The City, Video ansehen


#29 / Johnny Cash “Hurt”

So, hier ein Song, den auch jeder musikbewanderte Mensch kennt. Und in 95% der Fälle auch liebt. „Hurt“ ist ja irgendwie ein Song, auf den sich auch alle einigen können. Da fragt man sich ja manchmal wirklich, ob man dagegen halten soll. Aber kann man irgendwie nicht. Dazu ist Johnny Cash’s Interpretation von Trent Reznor’s alter Drogenhymne einfach zu schön. Und jetzt kommt mir nicht mit „Öh, die Nine Inch Nails Version ist viel besser“. Ist sie nicht… Punkt! Was Johnny Cash daraus gemacht hat, gerade in dieser Phase seines späten Lebens ist „beyond good“. Sicher haben ja auch Drogen eine Rolle in Mr. Cash’s Leben gespielt, aber in dieser reduzierten „Gitarre-Piano-Vocals“-Version wirkt „Hurt“ wie das Resümeé über ein gelebtes Leben. Besonders im Zusammenhang mit dem bewegenden Video von Mark Romanek wird dies deutlicht. Und wenn wir den Song hören, denken viele vermutlich in erster Linie an diese berauschende Bilderflut, die das Leben des Johnny Cash so eindrucksvoll festhält. Dazu ein Mann, gezeichnet vom Alter und einem schweren Nervenleiden. Seine Stimme wirkt brüchig, seine Augen wirken leer. Jeder damals wusste vermutlich heimlich, das „Hurt“ der letzte Clip von Cash ist. Und was für einer. Dazu dieser Mann, der selbst im hohen Alter noch eine unglaubliche Präsenz hat. Präsente Musikgeschichte, fernab jeder Schönfärberei. Das macht „Hurt“ nur um so trauriger… „What habe I become, my sweetest friend? Everyone around me goes away in the end“. Ein Song, der auf vielen Ebenen funktioniert. Aber er bleibt traurig und voller Schmerz, ohne jedoch das Fünkchen Hoffnung auszulassen. Hatte Johnny Cash das am Ende? Vielleicht war es dann doch der Tod und die Tatsache, das er dann am Ende bei seiner kurz vorher verstorbenen Frau sein konnte. Also fast ein Happy End für den Mann in Schwarz. Es gibt also verschiedene Faktoren, warum alle diesen Song lieben. Die Person Cash, das Video, die Musik, die morbide Grundstimmung … es ist okay, diesen Song zu lieben. Ich tu es auch. Und verneige mich in Ehrfurcht.

Release: 2002 / Album:America IV: The Man Comes Around, Video ansehen


#30 / Oasis “Champagne Supernova”

Am Ende wird’s noch mal ausladend. Ein Ende mit Pauken und Gitarrenwänden. Man hätte auch mit „Hurt“ enden können, aber ich möchte es lieber mit nen Knall enden lassen. „Champagne Supernova“ von Oasis ist so ein Knall. Eine der schönsten Hymnen aller Zeiten! Ich sag’s noch mal… hätte ich ein Ranking gemacht, dann wär dieser Song wirklich sehr weit vorn gewesen. Ein siebeneinhalb-minütiges Meisterwerk, das an der Perfektion. Großer Edel-Britpop aus der Zeit als diese Band mal für ein paar Jahre die größte Band der Welt war. Mit einem epochalen Refrain und einem Text, den Noel vermutlich unter dem Einfluss von bewusstseinserweiternden Pillen geschrieben hat. Auch egal. „Champagne Supernova“ ist ausufernd, hedonistisch und großspurig wie die Gallaghers halt nun mal sind. Das euphorische Bild von der Champagner Supernova im Himmel passt auch irgendwie dazu. Ausladend, verschwendend, voller Größe. Dieser Song ist unglaublich, größer als die Band und auch nach gut 13 Jahren immer noch eine Klasse für sich. Mit all dem Bombast, den Gitarrenspuren, all der Euphorie. Durch Songs wie diesen wirkt der Begriff „Stadionrock“ auf einmal nicht mehr wie eine Beleidigung, sondern wie ein Kompliment. „Champagne Supernova“ schafft die Kurve zwischen prolligem Mitgröhlrefrain und hoher Musikalität.
Und dann dieser Refrain… “Someday you will find me, caught beneath the landslide, in a champagne supernova in the sky”. Damit haben sich Oasis ein Denkmal gesetzt. Ich weiß auch nicht, warum alle Welt immer “Wonderwall” mehr mag. Vermutlich ist für diese Menschen „Champagne Supernova“ einfach zu lang, zu verworren, zu groß. Und dieser Song ist groß! Großartig! Unerreicht! Ich glaube, die Beatles wären stolz auf die Gallaghers gewesen. Es gibt eigentlich gar nicht mehr dazu zu sagen. Vielleicht muss man auch ein bestimmtes Empfinden für Musik haben. So wie ich. Das ist sowieso etwas eigen und vielleicht hat auch nicht jeder verstanden, worum es bei diesen „Songs that saved my life“ so ging. Die Songs, die mir wirklich wichtig sind, die etwas in meinem Leben bedeutet haben, über konkrete Ereignisse heraus. Oder einfach Songs, die musikalisch so gut sind, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als sie zu lieben. Sicher fehlen da noch einige und meine Stimmung ändert sich auch permanent. Aber diese 30 sind wohl alles in allem und nach reichlicher Überlegung die wichtigsten für mich. Das wollt ich der Welt da draußen einfach mal mitteilen. Vielleicht hab ich ja dem ein oder anderen was mitgeben können. Wer doch nett. Ansonsten bleibt Nobono bitte freundlich gesonnen. Wir tun es auch ;-)

Release: 1995 / Album:(What’s The Story) Morning Glory?, Video ansehen

nobono

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