Mottenkiste

Mittwoch, 22. Dezember 2010

|:Mottenkiste:| / Aalglatte Weihnachten

CoverSchon seit über einem halben Jahr höre ich The City That Sleeps von A Silent Film immer wieder mal. Bisher war's immer so: "Ganz nett". Aber heute hat's gefunkt! Bei einem schönen Spaziergang durch die verschneite, vorweihnachtliche Stadt, kam dieses Gefühl auf. Dieses Gefühl, das zum Gedanken wird: Diese - nur diese - Musik gehört jetzt und hier dazu.

Wer noch nicht weiß, was er zu Weihnachten verschenken kann, der greife bitte zu diesem Tonträger. Die gefällt Mutti und der pubertären Schwester genauso, wie der besten Freundin oder dem Lebensabschnittsgefährten. Sogar der grummelige Fleischermeister und Metalfanatiker vom Laden nebenan wird euch zwar nicht danken, aber sie insgeheim doch lieben. Der Grund: Soviel Pomp kann man sich doch nicht entziehen. Im Grunde gibt es sozusagen die amerikanische (auch wenn die Herren Film aus dem großen Britannien stammen) Variante von Keane oder Coldplay. Britpop, Klavier, Flächen, Wände, Ooooooooooohooooooohooooooos, Melodramatik, Größe, Weite, Orchester. Nur, während die anderen Kollegen aus dem Vereinten Königreich doch ab und zu durchschimmern lassen, dass sie eigentlich recht unsichere Figürchen sind, die auch Momente von Schwäche kennen, lassen A Silent Film sowas nicht zu. Das hier klingt selbstbewusst, mächtig, perfekt. Natürlich auch so glatt, wie ein Eishockeyfeld vorm Spiel, aber das ist man ja gewohnt.
Zumal hier dazu kommt, dass sich nicht nur die Produktion keine Schwäche erlaubt, sondern auch die Komposition nicht. Ein Lieder-Edelstein neben dem nächsten. Immer im Grenzbereich zwischen Kitsch und guten Pop. Zum Beispiel bei Firefly In My Window denkt man sich teilweise: "Hat Ville Valo seinen Gitarristen gefeuert?", doch im nächsten Teil, bekommt das Stück eine Stringenz und Kraft, die ihresgleichen sucht.
Das ist Musik für "Wetten, dass?!", nur das Tommy Gottschalk danach die Emotionen durchgehen würden, als wäre gerade eine Wette schief gegangen.
Was hat das nun mit Weihnachten zu tun? Man könnte jetzt versuchen irgendwelchen pseudphilosophischen Überbauten herzustellen, von wegen Gemütlichkeit, Wärme durch Sicherheit, geistige Entspannung in anstrengender Vorweihnachtszeit etc ... Man kann aber einfach auch nur den abschließenden Titel Aurora vor den Latz knallen und rufen: "Dann komm damit mal bitte in Beach-Party-Stimmung!"



Wird nicht klappen. Diese Musik gehört in den Winter, diese Musik gehört in den Schnee. Diese Musik wärmt frierende Herzen wieder. Diese Musik gehört einfach jetzt und hier zur Vorweihnachtszeit. Draußen fast erfrieren, aber mit dem Gedanken an einen warmen Kamin.
Also ab in den Laden und die Kinder werden bei der Bescherung Augen machen.
In diesem Sinne wünsche euch schonmal frohe Weihnachten, sollte ich es nicht eher schaffen noch etwas zu schreiben - bei meinem derzeitigen Veröffentlichungsintervall sehr wahrscheinlich. Möge es eine besinnliche Zeit sein.

Julie June by A Silent Film

Samstag, 29. Mai 2010

|:Mottenkiste:| / Pomp und Grandezza

Cover

Die Norweger Delaware haben anno 2003 das extrem überladene …and everything reminds me auf den Markt gehauen. Obwohl es so klingt, als könnte man damit die größten Stadien der Welt füllen, hat es letztendlich nur für ein paar gammeligen Kaschemmen außerhalb von Norwegen gereicht. Obwohl sie schon beim Major-Label Sony BMG gelandet sind, der allerdings nicht so richtig wusste, wie man dieses Hitalbum vermarktet. Das verstehe wer will.

Bands, die meinen ihre Emotionalität mithilfe von Streichern, Richard Clayderman-Pianos, Midtempo, hymnenhaften Gesang und einem entrockten Sound ausdrücken zu müssen, sollten einem erstmal sehr suspekt sein. Und wenn man willkürlich in irgendein Titel dieser Platte reinlauscht, wird dieser Eindruck auch unterstützt. Hier macht jemand auf ganz große Geste. Der ganze Hofstaat für kitschige Musik steht Spalier, um Richard Holmsen mit seiner butterweichen Stimme den Geleit zu bieten, wie er den Soundteppich zu Schmachtfetzen zerreißt.
Und was für welche! Sowas würde sogar 30 Seconds To Mars die Schamesröte ins Gesicht treiben.  Doch trotz dem, dass man die Scheibe lieber im plüschigen Versteck hört, als im offenen Cabrio, muss man doch gestehen, dass sich hier Songperle an Songperle zu einer schönen Powerballaden-Kette reiht. Und damit sind natürlich nicht nur die Refrains gemeint, hier stimmt zum großen Teil alles. Die Streicherarrangements könnte Andrew Lloyd Webber nicht besser machen. Das Glockenspiel zur Eröffnung bei Everything Sometimes, zaubert ein Lächeln aufs Gesicht. Die Strophe aus Secret würde bei vielen Bands bereits als vollwärtiger Refrain durchgehen. Bei Delaware ist das erst der Anfang, der eigentlich Refrain, wäre bei anderen schon das absolute Finale grande, kurz hinterm Ausverkauf. So wird man Song um Song weichgespült, bis die Gitarren beim vorletzten About You einem so hart vorkommen wie Death Metal, obwohl sie doch nur leicht angezerrte Akkorde schrammeln. Doch gerade die Tatsache, dass die Norweger sich dafür nicht zu schade sind und offenbar den Ausverkauf nicht fürchten, sondern völlig ungeniert die größten Schmalzfässer aufmachen, ringt doch einfach nur Respekt ab.
Seit den Anfängen der Christenheit, wurde von so genannten Säulenheiligen berichtet, die ihre Tage damit verbrachten auf Säulen zu leben und zu beten, manche davon mit permanent ausgebreitet Armen. Sechzehn Stunden am Tag. Wer mal versucht, dass nur drei Minuten nachzustellen, weiß, was das für eine Leistung ist. Delaware gebahren sich ebenfalls als Säulenheilige und schleudern einen Refrain nach dem dem anderen ins Rund, die dazu einladen bei Sonnenuntergang mit wehenden Haar am schönsten Kliff der weißesten und höchsten Steilküste der Welt zu stehen und die Arme auszubreiten. Immerhin fünzig Minuten lang. Ihre Fähigkeit eine übergroße Melodie nach der nächsten rauszuschleudern und gleichzeitig diese mit stets überraschenden Harmonien abzupolstern, ist wohl das, was das Album so erstaunlich macht.
Natürlich ist das auf Dauer anstrengend und Last Night trotz vollem Einsatz einfach nur langweilig. Aber im Wesentlichen überwiegt das Licht die paar Schatten. Das gleißendste und wärmste, dass man sich vorstellen kann. Plus Glitzereffekt.

Hörbeispiel: Always (RuTube)

Mittwoch, 12. Mai 2010

|:Mottenkiste:| / Nichts wird zurückgelassen

Cover

Die Kanadier von The Dears sind vor allem durch das ganz fabelhafte Stück Who Are You Defenders Of The Universe in Erscheinung getreten. Wer auch immer es hörte, konnte in eine kalte, traurige, kraftvolle Welt eintauchen. Was ist das für ein Album, dem dieser schöne Titel entnommen ist? No Cities Left führt diese Linie fort, jedoch ohne die gleiche Intensität über die gesamte Länge halten zu können. Aber auch die weniger starken Stücke füllen ein recht feines Indiepop-Album auf.

 

No Cities Left erschien 2004 und muss eigentlich nicht weiter auffallen. Schließlich hört man – kurz gefasst – eine stimmliche Mischung aus Damon Albarn (Gorillaz, Blur) und Morrissey über stark Interpol ähnelter Musik. Da diese Referenzen für sich ja schon den Mund wässrig machen lassen, sollte man die Kombination dieser Elemente doch mal genauer betrachten.
Der erste Titel We Can Have It, besteht aus einer Beschwörung zur Hoffnung, die noch honigfarben daher kommt. Alles noch halbwegs kuschelig und warm. Mit dem darauffolgenden Who Are You, Defenders Of The Universe jedoch entweicht schlagartig alle Wärme: Die ganze Szenarie taucht in eine metallische Kälte und wird es für den Rest des Albums auch beibehalten. Zwar leuchten kurze Hoffnungsschimmer auf, wie die Frühlingshymne Don’t Lose The Faith oder der beschwingte Indiesong Lost In The Plot. Diese sind aber die einzigen und werden dann auch umgehend wieder abgeschattet. Und in dieser ganzen eisigen, verlorenen, depressiven Atmosphäre ist dennoch genug Raum für Spielereien. Wie im Waisenkinderheim. Da trötet im elegischen Expect the Worst/'Cos She's a Tourist urplötzlich ein cheesy Saxophon ums Eck, das Gesangsmikrofon darf auch mal die Keyboarderin Natalia Yanchak mit ihrem Speichel benetzen, wie es bei 22: The Death of All the Romance der Fall ist, was die Musik zu einem interessanten Duett erweitert, zwei Stücke kratzen an der Acht-Minuten-Schallmauer, Trompeten, Harmonikas, Orgeln, Wurlitzer, Stromgitarrengewitter, Synthies!
Alles darf mindestens einmal kurz aufspielen, was nicht fest in die Studiomauer eingelassen war. Kein Tonerzeuger wird zurückgelassen, als wäre es ein fünftes Rad am Wagen. The Dears beziehen alle mit ein. Gut, solche Alben gibt es zuhauf. Entscheidend ist ja nicht das, was man oben reinstopft. Entscheidend ist es – so hat es schon der deutsche Philosoph H. Kohl beschrieben –, was hinten rauskommt. Das sind im Falle von No Cities Left eine schöne Sammlung kleiner Popepisoden. Mal größer, mal kleiner. Aber immer ausreichend eingängig, dass man gerne ein Ohr mehr riskiert. Dieses wird dann auch umgehend mit Hooklines und Ohrwürmern vollgestopft. Von welcher der tausend Tonquellen die kommen – ob es ein hübsches Gitarrenlick ist, oder ein beseelter Chor, ein Orgelsolo oder doch ein 1A-Morrissey-Imitation – ist eigentlich egal. Auf jeden Fall sind sie nicht zu knapp.
Zusammenfassend, ist festzuhalten, dass Freunde des komplexeren Pop hiermit ihre unverhohlene Freude haben dürfen. Allen anderen sei dies natürlich auch gewährt. The Dears lassen ja nichts und niemanden zurück.

Hörbeispiele:
Lost In The Plot (download)

Who Are You, Defenders Of The Universe (YouTube)

Samstag, 17. April 2010

|:Mottenkiste:| / It’s now that we’re ready

Cover

Seattle war Anfang bis Mitte der Neunziger die Hochburg von krachiger Musik. Das man in dieser Bottich aus Lärm auch durchaus hübsche Melodien verpacken kann, sollte ein Allgemeinplatz sein. Die Band Flop hat zwar nie so richtig die Anerkennung für ihr Tun bekommen. Sie sollten dennoch einmal für ihre Fähigkeit, herrlich eingängige Popsongs zu schreiben geehrt werden. Stellvertretend für ihr gesamtes Oeuvre soll hier das ‘93er Schmuckstück Whenever You’re Ready besprochen sein.

Wer Pop sagt, muss auch Pop-Punk sagen. Denn wer ein wahrhafter Anhänger und edler Verfechter der Eingängigkeit, der Einfachheit, des Direktem ist, sollte die Ohren nicht vor den Hymnen verschließen, die solch halbharte Knaben wie Alkaline Trio, AFI, My Chemical Romance oder Bad Religion emittieren. Man wird fündig werden. Und man wird Mitsingsrefrains für die Ewigkeit finden.

Aber an und für sich braucht man diese Tatsache auch nicht mehr zu erwähnen. Ein etwas unbeachteter Vertretung dieser Gattung der Unterhaltungsmusik sind Flop aus Seattle. Irgendetwas wurde den Trunkenbolden ins Müsli getan, was sie dazu veranlasst hat, Melodien und Harmonien zu komponieren, die einem nur den Mund offen stehen lassen. Was immer es auch war, jeder, der selbst versucht schöne, eingängige Lieder zu schreiben, möchte etwas von dem Zeug abbekommen.

Wie man bereits durch die Gattungsbezeichnung “Pop-Punk” vermuten könnte, ist die Musik, die die Harmonien vorträgt, nicht gerade würdig den Preis für die neuartigste Untermalung von Gesang zu erhalten. Denn letztendlich ist das zu hören, was man halt damals in Seattle fabriziert hat: ein hustender Bass, ein rumpliges Schlagzeug, sowie kratzende und pfeifende E-Gitarren. Darum wollen wir uns an diesem Punkt auch nicht länger aufhalten.

Wohl aber an den Liedern. Oh, was für Songs! Da sind schon ein paar Schmankerl dabei, die es schaffen einem ein peinlich-seliges Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Mit den Mundwinkeln geht’s aufwärts bei diesen Brillanten. Da wären zum Beispiel das Smith-ig flotte Eat, die wunderbaren “ooh-hoo-hoo”-Chöre von Woolworth, das Eröffnungsopus A Wiley, das dann tatsächlich sehr klingt wie Nirvana mit einem etwas klarerem Kurt Cobain am Gesang oder auch der schier unbegreifliche Pre-Chorus von En Route to the Unified Field Theory, um den manche Bands zwei Alben bauen würden. Und vor allem der Song, wodurch man überhaupt hierzulande auf die Band hätte aufmerksam werden sollen. Nämlich das extrem hittige Julie Francaville, dass kurz in der Dokumentation Hype! von Doug Prey angespielt wird, die sich nämlich um die Eintausendundzwei Bands dreht, die Anfang der letzten Dekade in Seattle ihr Unwesen trieben und plötzlich bekannt und begehrt worden wie Goldesel. Man sieht die lustigen Buben von Flop im Studio, wie sie eben diesen Song spielen und wird sofort von dieser überschießenden Melodieseligkeit vereinnahmt. Und so kann sich das über weite Strecken dieses dazugehörigen Albums Whenever You’re Ready ebenso halten. Letztendlich befindet sich in praktisch jedem der siebzehn Stücke eine Hookline, die einen aufhorchen lässt.

Für alle Popjünger sehr empfehlenswert. Zwar schade, dass man solche Sachen erst sehr spät zur Kenntnis nimmt, aber manchmal spielt das Leben einem so mit. Die Band hat aber schon die notwendige Gelassenheit dafür vorgegeben: Whenever You’re Ready!

Dienstag, 30. März 2010

|:Mottenkiste:| / Grand John

CoverDas vermutlich edelste Coveralbum, dass man sich vorstellen kann stammt von The Czars und hört auf den sehr schönen und passenden Namen Sorry I Made You Cry. Darauf eine pittoreske Rüstkammer voller Liebeslieder, die für den Krieg gegen die Dürre der Augen durchaus geeignet ist.

Edel ist das ganze Machwerk deshalb, weil es bestechend klar produziert ist. Jeder noch so kleine Akzent eines Schlitterns der Finger auf dem Griffbrett der Westerngitarre wird minutiös dokumentiert. Ohne dabei natürlich irgendwelche Grifffehler oder Ähnliches zu offenbaren. Jedem einzelnen Instrument, ach was, jedem verdammten Ton wird so viel Platz eingeräumt, dass er droht sich in der Weite zu verlieren. In Sekundenschnelle bannen die Geräusche, die die Stereoanlage emittiert, die Aufmerksamkeit des Hörers an das akustische Geschehen.
Das liegt allerdings auch im Wesentlichen an der sehr sehr großen und majestätischen Stimme des John Grant, die man gerne dafür missbrauchen möchte, dass er einmal die Anrufbeantworter-Ansage für einen besprechen möge. Voll, fest und doch voller Soul füllt er die großen Lücken, die die zurückhaltende Produktion lässt, komplett aus. Sehr beeindruckend ist dies am Beispiel der 9-minütigen Mammutinterpretation von Elvis Costellos My Funny Valentine festzustellen. Die flirrende E-Gitarre und das krass verhallte Piano sind erst die einzigen Instrumente, die zu vernehmen sind. Sie klingen dezent und weit. Darüber legt sich dann zentnerschwer und mit stolz erhobenem Haupt der warme Bariton von Mr. Grant. Mit der Insbrunst eines mittelalterlichen Minnesängers, der die holde prinzessine Jungfrau endlich in die Kiste bekommen möchte, drückt er Kraft seines ganzes Vokalorgans auf die Tränendrüse, dass einem Angst und Bange wird. Vor allem deshalb weil es wirkt.
Dieser Wahnsinnsstimme ist es auch zu verdanken, dass diese Kollektion an Coversongs nicht, wie es auf dem Papier erscheint - zurückhaltende Instrumentierung vor alten Jazz-Standards luftig vorgetragen, nicht zu Kaffeehaus-Musik verkommt. Denn wäre ein Kneipier so feist, diese Platte in seinem Etablissment im Hintergrund erschallen zu lassen, hätte er das Problem, dass vermutlich prompt alle Gespräche verstummten, die Leute nix mehr trinken wöllten und noch nicht mal mehr aufschauten, um sich nicht die Blöße zu geben, dass sie gerade von einer monumentalen Gänsehaut heimgesucht wurden. Denn diese Musik ist zwar offen und weit instrumentiert, aber am Ende des Tages doch vor allem zentnerschwer. Selbst ein so fröhlicher Song wie Angel Eyes von ABBA wirkt in der Interpretation der Czars niederdrückend, melancholisch. Getragen. Wunderschön.



PS: Inwiefern sich diese Art des Musizierens in das sonstige Œuvre der The Czars einordnet, kann ich jetzt noch nicht sagen, da ich mir die Band ansonsten nur namentlich ein Begriff war. Bin mehr über das sehr schicke Coverbild drüber gestoßen.
Wer zum Thema mehr weiß, kann ja gerne im Kommentar noch ein paar einordnende Sätze formulieren.

Mittwoch, 17. März 2010

|:Mottenkiste:| / Vom Überleben

CoverBei Soundcloud gibt es seit einigen Tagen ein neues Stück der progressiven Emostudenten von Circa Survive namens Get Out. Es klingt auch recht fein, kann jedoch nicht mit der Größe ihres letzten Werkes On Letting Go von 2007 mithalten.

Dieses vermochte nämlich emotionale Berge zu versetzen.
Fangen wir schon einmal mit dem Cover an. Ganz große Kunst. Ein Mädchen, welches sich selbst fortbewegen vermag, indem sie mit brennendem Haupt einen Ballon befüllt, der sie zu mobilisieren im Stande ist. Das alles in schönen dunklen, aber kräftigen Farben gehalten, die dem Gemälde von Esao Andrews einen latenten Glanz verleiht. Je weiter man jedoch im Booklet voranblättert, desto mehr zerfällt das Bild bis nur noch ein kleinerer Farbtupfer um das fliegende Mädchen vor weißem Grund zu sehen ist. Wundervoll.
Es setzt sich fort mit dieser Stimme. Oh diese Stimme! Sie gehört zu Anthony Green (ja, das ist ein Männername und bekleidet dementsprechend auch ein männliches Wesen). Dieser war auch mit mittelstarken Ergebnis bereits Solo und akustisch in Avalon unterwegs und des Weiteren bei der Debüt-EP der brillanten Emorocker von Saosin, denen sehr viele Vorschusslorbeeren zuteil wurden und von diversen fachlichen Stellen durch die musikalische Qualität und das Charisma des Frontmanns eine glänzende Zukunft bescheinigt.
Auf diese gab der Sänger mal eben zwei feuchte Fürze und teilte seinen Kollegen kurz vor der mutmaßlichen Durchbruch-Tour mit, dass er sich musikalisch und vor allem szenisch nicht zugehörig fühle und daher lieber eine neue Band gründen wolle.
Diese war dann Circa Survive. Oh, was für ein Bandname! "Um's Überleben" oder "Vom Überleben"! So schön unkitschig pathetisch, dass einem ganz warm circa Herz wird.
Anno 2005 erschien dann das Debütalbum Juturna (übrigens die römische Göttin der Quellen und Brunnen, welch' schönes Symbol für den Neuanfang), welches den radikalen Schritt vom wahrscheinlichen Chartbreaker in die Ungewissheit eines Neuanfangs bereits ab der ersten Sekunde fundiert begründet. Denn praktisch ab dem ersten Akkord von Holding Someone's Hair Back wird die abspielende Stereoanlage verhext. Von einer öden und profanen Ansammlung von PVC, Metall und Magneten zu einem geheimnisvoll schimmernden Quell der musikalischen Magie und einem überwucherndem Kaleidoskop der Emotionen.
Meist in dem schöneren und edleren Tongeschlecht Moll gehalten, werden erstklassige Songs zu schier unmenschlichen Arrangements montiert.
Nein, vielmehr verwoben. Im tiefsten Sinn des Wortes. Die zwei Gitarren existieren nicht nebeneinander her, sondern umspielen sich permanent wie ein junges verliebtes Paar, die Läufe greifen ineinander, tragen sich, entfernen sich und krallen sich wieder aneinander. Getragen oder vielmehr umgeben werden von dem sich ebenfalls ergänzenden und bereichernden Zusammenspiel von progressiv-breakigem Schlagzeug (oder kurz: der Trommler trommelt sich ordentlich einen Wolf) und verträumt-laufigem Bass. Auf diesem mal lockeren, mal festen Geflecht aus Instrumenten, Läufen, Rhythmen und Harmonien darf sich dann die honigsüße Mädchenstimme von Anthony Green ausbreiten. Honigsüß deshalb, weil sie hoch ist. Sehr hoch. Beängstigend hoch für einen Mann. Dennoch klingt er so, als hätte er noch Platz nach oben. Die Stimme klingt nie dünn, eiert nicht und bekommt teilweise auch eine gewisse Rauheit verpasst.
An dieser Stelle auch Chapeau an Brian McTernan (Darkest Hour, Thrice), der es schafft, dass das ganze Geflecht dann auch so klingt, als wäre jedes einzelne Instrument kurz vorm Untergehen im Soundbrei, dies aber gerade so nicht passiert. Der Kompressor blinkert zwar, kommt aber nie zum Dauerleuchten.
Formell bezieht sich die Beschreibung zwar jetzt noch auf Juturna, gilt aber genauso für On Letting Go. So großartig unterscheiden sich die beiden Alben nämlich nicht. Warum also Zweiteres hervorheben?
Nun, es wurde noch etwas dichter verarbeitet. Die Geräuschwände lassen inzwischen überhaupt keine Lücke mehr. Was ich, als geneigter Postrocker, astrein finde. Die Songs sind stehen nun auf sicherem Fundament. Kompositorisch makellos. Null Füllmaterial. Jeder Song kann gefallen. Aber - und das ist das eigentlich Erstaunliche - ist es dennoch nicht möglich einen Favoriten herauszupicken und speziell an Mann zu bringen. Denn alles fließt. Jetzt nicht im Philosophisch transzendentem Sinne, sondern im musikalischen. Trotz formeller Trennung der Titel, wird man so eingelullt, dass das gesamte Album wie im Fieberwahn vorüberzieht. Wenn es endete, kann man sich an keine einzige Melodie erinnern, alles ist unter den Ohren zerflossen, ohne nur einen Moment sperrig zu sein.
Hier passiert Pop. Die Lieder klingen alle gleich. Hohes Stimmchen. Nix bleibt hängen. Moment! Das hatten wir doch erst letzte Woche bei Ellie Goulding! Warum ist das jetzt gut? Und die zierliche Engländerin nicht?
Nun, wenn die Musik aus ernsthaften Instrumenten und nicht aus einem digitalen System kommt, bringt das im Allgemeinen mehr Glaubwürdigkeit. Vor allem aber ist hier Nix auf Hit gebürstet. Die Songs sind also catchy, aber nicht cheesy.
Die Gleichförmigkeit der Titel bringt keine Langeweile mit sich, sondern eher einen Trancezustand. Dieser Rauschzustand scheint auch initiiert worden zu sein und nicht ein zufälliges Nebenprodukt.
Und wir haben es hier mit echten, ernsthaften Emotionen zu tun. Auch wenn das Emo-Genre immer gern belächelt wird. Die fast schon körperliche Manifestation ungefilterter Emotionalität ohne vorher durch irgendeine Coolness- oder was weiß ich -was-Kontrolle zu müssen, sollte jedem ernsthaften Musikhörer doch eigentlich ein heiliges Gut sein. Und wenn nun ein Emo-Musiker sich der Musik und der Szene entsagt ohne diesen Habitus abzulegen kommt es zu einem wahren Feuerwerk aus der Gefühlskanone, die den interessierten Hörer direkt in die Körpermitte trifft und aber einfordert, den Kopf dabei auszuschalten. On Letting Go halt.

Da ja, wie bereits erwähnt, es schwer ist einen unbedingten Anspieltipp zu nennen und das Album am besten in seiner Gesamtheit wirkt verweise ich einfach auf diese YouTube-Playlist, wo alle Titel angehört werden können. Bei mir hat damals The Difference Between Medicine and Poison is in the Dose gereicht, um mich total anzufixen. Inzwischen bin ich von Semi Constructive Criticism am meisten gefangen. Viel Freude beim Entdecken.

Freitag, 26. Februar 2010

|:Mottenkiste:| + Der heiße Scheiß - Ken't get enough ...

Verzeiht bitte, dass die Überschrift so discountermäßig kalauert, aber die Band Ken macht es ja selbst nicht besser. Yes We Ken heißt das neuste Machwerk. Zu diesem Behufe muss einfach mal ihr grandioses erstes Album Have A Nice Day entmottet und ausgekistet werden.

CoverKen ist ja eigentlich mal das Nebenprojekt des Blackmail-Sängers Aydo Abay (ich kaufe ein "Y") gewesen. Seitdem selbiger aber entnervt ob des Band-Nepotismus unter den Ebelhäuser-Tyrannen bei der Erpressung das Handtuch warf, ist Ken nun mehr oder weniger Hauptprojekt.
Natürlich fühlt sich die Musik zunächst sehr stark nach der früheren Hauptband an. Das liegt im Wesentlichen natürlich an der - trotz der heftigen Erinnerbarkeit an Brian Molko (Placebo) und Luke Steele (The Sleepy Jackson, Empire Of The Sun) - markanten Stimme des Sängers. Und gerade die ersten beiden Titel auf Yes We erinnern mit ihren kraftvoll-rauhen Gitarren-Getöne massiv an Blackmail. Hardcore-Shouts hin, Piano her. Die Melodieführung, die Arrangements, das Drumming ist doch schon sehr altbacken. Macht die Sache nicht weniger gut, nur entzieht es sich jeglicher Begründung. Doch spätestens mit dem eingängig betitelten Y.K.I.W.G.T.T.End.O.T.W.W.Y. hat es sich dann mit dieser Referenz und dem klassischen Rock im Allgemeinen gegessen. Der Orbit grüßt (I'll Sleep When You're Dead), Radiohead schicken Postkarten vom Proggen (Women Who Love Men Who Take Drugs To Make Music To Take Drugs To), Aphex Twin grinst fies und freundlich (Pirates Vs. Ninjas Vs. Zombies Vs. Robots), Paul Van Dyk wird von Pink Floyd und Muse belästigt (Dead As A Dodo). Wie auch immer, die Band hat mal ordentlich Electro-Lyte und ausufernde, schwebende Songsstrukturen gefrühstückt.
Das alles artet aber nie aus, bleibt kompakt und nachvollziehbar. Und ist von beängstigender Qualität.
Unfassbar, welche Mengen kreatives Nitro seit dem Weggang von Blackmail bei Herrn Abay in den Tank kommen. Und auf dem Tonband freigesetzt werden. Hier wird nicht krampfhaft der Abstand gesucht, hier wird im Wortsinne progressiv nach vorn gearbeitet und das liedschreiberliche Talent in einem wesentlich offeneren Klangrahmen auf die CD geklatscht.
So muss es sein.

Hörbeispiel: Get A Life



CoverDas erste Album Have A Nice Day der Recken von Ken wurde stets sträflich unterschätzt. Das mag an dem sehr simplen Titel liegen oder einfach daran, dass hier keine coole Band aus NYC ihr Unwesen treibt, sondern die Typen aus Koblenz, die außer dem Sänger auch nicht gerade ein Augenbonbon darstellen.
Dabei wird hier so viel geboten. Von dem sehr spaßig verkackten Einstieg mit The Big Fib bis zum sphärisch beruhigenden Schlusspunkt mit on(n) wird einem hier ordentlich der Indiemarsch geblasen.
Der Nachfolge-Doppelschlag I Am Thief und Stop! Look! Sing Songs of The Revolution hingegen wurden schon hin und wieder fachblättrig abgehandelt. Dabei ist schon der Erstschlag das opus magnum.
Sicher, Husk und Voltage Point sind keine überragenden Titel, was aber dafür mehrfach im Folgenden wettgemacht wird. Das schmissige Tilt, dass mit Orgel und zeitlosem Songwriting Oasis hat neidgrün werden lassen, das beschwingte Whirlpool Of Terror, dass jeden Songschreiber auf der Welt die gleiche Farbe ins Gesicht malt und natürlich die anderen hervorragend komponierten, melancholisch-düsteren Nummern, die jeden Liebhaber der Molltonarten freudentränend vor der Anlage knien lassen.
Hier sitzt alles an der richtigen Stelle, franst nicht aus, sondern wird auf 44 sehr unterhaltsame Minuten komprimiert, die einen von den anfänglichen treibenden und rau rockenden Titeln immer weiter nach unten ziehen, bis schließlich schwerste Traurigkeit und absolute Niedergeschlagenheit das Gesamtbild bestimmen.
Dabei wird es jedoch nie unkonzentriert, sondern die bleiben dem reinsten und schönsten Pop verpflichtet.

Hörbeispiel Whirlpool Of Terror

Mittwoch, 24. Februar 2010

|:Mottenkiste:| / Away With The Ferries

Maria Solheim brachte 2004 das ganz und gar bezaubernde Frail heraus. Wie es sich für diese Rubrik gehört, im Wesentlichen Abseits des (deutschen) Interesses.

CoverMaria Solheim (Jahrgang '82) stammt aus dem sonnigen Norwegen und entschied sich bereits ziemlich früh dazu, Töne zu sortieren, diesen gedichtete Texte zuzuordnen und jenes dann öffentlich vorzutragen. Bei einem Volkfest, bei dem sie eben dieser Beschäftigung nachging, hatte - wie es sich für ein modernes Märchen geziemt - ein patenter Plattenfirmenbonz die Lauscherchen im Radarmodus laufen gehabt und so die Fünfzehnjährige keck vom Fleck weg in ein kleines Studio geschleift, wo sie ihr erstes Demo auf Band lötete.
Im Jahre 2001 erschien dann schließlich das ordentlich fabelhafte Barefoot. Ein pittoreskes Folk-Werk, bei dem sich trotz des juvenilen Alters bereits eine Cohensche Reife im Tageslicht zeigte, die zahlreichen Kritikern ordentlich die Segelohren schlottern ließ.
Das nachfolgende Behind Closed Doors war zwar nicht verkehrt, wirkt allerdings zwischen dem erstaunlichen Vorgänger und dem überragenden Nachfolger wie Feist auf einer Parkbank zwischen Reiner Calmund und Fat Joe.
Dieser benannte überragende Nachfolger ist das benannte Frail. Eigentlich unterscheidet sich das noch nicht mal nennenswert von den Vorgängern, aber irgendwie singt Maria sicherer und zarter, die Instrumentierung und die Arrangements dichter und entschlackter, die Musik ist abwechslungsreicher und schlüssiger zugleich als alles was sie sonst veröffentlicht hat und was überhaupt sonst so auf dem weiten Feld des Singen und Songwritens so herumkreucht und fleucht. Man hört halt nicht nur eine hübsche Stimme und dazu eine nackische Gitarre, sondern das gesamte Waffenarsenal aus der Asservatenkammer das gemeinen Folkers. Fender Rhodes Piano, Wurlitzer, Pedal Steel, Glockenspiel und Vibraphone, E-Gitarre, Streicherquartett, Pluckersynthies und so weiter. Natürlich kann sie auch klassisch, wie mit der sehr schönen Miniatur von Pain zu beweisen war, aber kann auch die volle Ladung auffahren wie bei dem dezent polternden Mr. Iceman, bei dem zum Schluss sogar eine kleine Bläsergruppe um die Ecke trötet.
Sehr schön ist auch, dass sie diesem oligarchen Reichtum an Arrangement und Instrumentierung auch ausreichen Platz lässt und nicht ununterbrochen Wortkaskaden entladen muss, wie es ein gewisser Conor O. aus O. einst zu tun pflegte. Nein, so entlässt sie beispielweise das schöne Natural Silence in eine beseelte und entgeistigte musikalische instrumentale Meditation, welche durchaus die Macht hat, den Hörer in Kurz-Trance zu versetzen oder erreicht den gleichen Effekt mit dem herrlich intimen Rhodes-durchtränkten Abschluss Because I'm Dead.
Ihre Stimme hat sie für dieses Album sehr schön gezähmt und einen niedlichen, zerbrechlichen und melodiöseren Touch draufonduliert, der sofort den Beschützerinstinkt erweckt und deswegen auch die Instant-Zuneigung zu dem Album ganz wesentlich fördern sollte.
Das Album erscheint ja - wie ihre anderen auch - in Norwegen bei der Kirkelig Kulturverkstedt (in Deutschland Vertrieb per Strange Ways). Das bedeutet, dass man zum Einen eine Soundqualität geliefert bekommt, die den entsprechenden Audiophilen die Hose nässen lässt. Wer mal einen Blick in die entsprechenden Fachmagazine Audio oder Stereoplay wirft kann sich da den Beweis erlesen. Zum Anderen muss man damit vorlieb nehmen dass Fräulein Solheim im Booklet eben ihrem "Savior" Jesus Christus dankt und halt in ihren Texten nicht die Uffie raushängen lässt. Allerdings wurde dieser christliche Einschlag lyrikal auf Frail auch auf ein Minimum zurückgefahren, wo sie hingegen bei Barefoot da noch etwas ungenierter zu Werke ging. Doch zum Glück sind ja hier alle so offen gesinnt, dass sie sich davon nicht abhalten lassen, tolle Musik zu entdecken da sie an Johnny Cash, Nick Cave oder U2 bisher auch nicht vorbeigekommen sind.
Die absoluten Höhepunkte dieses Machwerks sind das bereits an dieser Stelle zu vollständigen Ehren gekommene Too Many Days und das schon kurz vor der Klaustrophobie stehende intime, zerbrechliche, zärtliche Will You Say. Unglaubliche Musik das.

Hörbeispiele:
Too Many Days
Pain

Mittwoch, 27. Januar 2010

|:Mottenkiste :| / Zuckerknüppel

Hiermit wird jetzt eine neue Rubrik an den Start geschossen. Sie lautet Mottenkiste, wo ihr nun in unregelmäßigen Abständen tolle Musiktipps bekommt, die bewusst nicht der aktuellste Kram ist, sondern schon ein paar Jährchen sich auf den Rücken geschnallt hat.
Diese Sparte werde wohl im Wesentlichen ich betreuen, weil ich es nicht mit so viel Akribie verfolge die ganz neuen Sachen zu erschließen, was ja bei einer Veröffentlichungsrate von circa einhundert Alben pro Woche in Deutschland auch ein Ding der Unmöglichkeit ist. Allerdings bringt der rhododendron da wesentlich bessere Voraussetzungen mit. Irgendwie hat er es geschafft, da mehr im Puls der Zeit zu sein. Der Fall On Deaf Ears kann dann eher unter der Kategorie "Spätzünder" katalogisiert werden. Ich weiß ja gerade mal seit einer reichlichen Woche, wie geil das The XX-Album eigentlich ist.
Von daher wühle ich mal lieber im musikalischen Gedächtnis der vergangenen Jahre, um da mal wieder ein paar alte Schätze zu heben, zu entstauben und für alle Augen sichtbar auszustellen. Viel Vergnügen


My Vitriol - Finelines , 2000

Cover

Woher man diese Band kennen sollte? Nun, auf den britischen Inseln scheinen sie den Bekanntheitsgrad eines bunten Hundes aufzuweisen, jedoch haben sie hierzulande nie jemanden ernsthaft interessiert. Eventuell hat man einzelne Titel, wie Grounded mal bei Buffy - The Vampire Slayer gehört, aber in der deutschen Musikszene an und für sich wurden sie nie richtig wahrgenommen. Wohingegen sie im Vereinigten Königreich mehrere Top 40-Hits hatten und nach einer vierjährigen Pause zuletzt immer noch Tausender-Hallen füllen konnten.
Nun ... was gibt es zu hören? Es wird gerne unter dem Begriff Shoegaze eingeordnet. Für alle, die da mal eine fixe Nachhilfe brauchen: Eine Gruppe junger, dünner - zumeist britischer - Menschen ergötzen sich daran, dem Publikum einem wahren Phonfön auszuliefern. Da sie aber zu viel mit ihren fußbetretenen Effektgeräten beschäftigt sind, können sie die schmerzverzerrten Gesichter im Publikum nicht wahrnehmen, sondern starren ausschließlich in Richtung ihrer Schuhe. Wir lernen also: Jesus And The Mary Chain waren Shoegaze (sie drehten dem Publikum sogar zusätzlich noch den Rücken zu!), Manowar sind's trotz berstiger Lautstärke nicht.
Wobei natürlich auch bei My Vitriol das berühmte Manowar-Motto gilt: Wimps and posers, leave the hall. Denn auch hier wird nicht lange gefackelt und alle Schlappschwänze und Posierer werden schon mit den ersten Alpha Waves von der Macht der Dezibel aus dem Raum gedrängt. Die Sache ist nur: Im Gegensatz zu der Heroen des Genres - My Bloody Valentine (ja, das scheint ein sehr possessives Musikgebiet zu sein) (zweite Klammer: ACHTUNG! nicht Bullet For My Valentine!) - haben dieses Herren noch eine gehörige Portion Pop zum Frühstück genascht, was diese Musik doch etwas zugänglicher macht.
Anderseits sollte der Rezeptient schon so starke Nerven haben, dass er es über die Spielzeit von 49 Minuten erträgt, dass ihm die wahrhaft hymnischen Melodien von dampframmenartigen Gitarren tief und unbarmherzig ins Ohr geschoben werden und von dort aus mit einem zusätzlichen Jota Druck auch gleich weiter ins Hirn, wo sie zwar nicht eklig kleben bleiben, aber dennoch ihre Wirkung entfalten. Man muss sich das vorstellen, wie Muse bei Fillip, nur dass halt auch die Strophen von Strom bedeckt sind.
Gerade sehr versierten Indie-Hasen und Technojüngern sei natürlich nicht nahe gelegt gleich mit dem Skit C.O.R., loszulegen, da es sich hierbei um ein fast lupenreines Hardcore-Stück handelt.
Vielmehr sei zu Beginn vielleicht das unwiderstehliche Always: Your Way nahe gelegt, welches einfach mit ganzem Pomp und voller Grandezza verdeutlicht, womit wir es hier zu tun haben. Dass wird eigentlich bereits ab der 1. Sekunde deutlich: die breiteste und bewegendste Wall Of Sound, die man sich vorstellen kann. Da werden sogar Morning Runner blass. Hier werden einfach alle Räume dicht gemacht. Lücken entstehen bei diesem dichten Netz aus Gitarren und verzerrtem Bass einfach nicht. Aber letztendlich wärmen die glühenden Verstärker genauso schön wie Omas Ofenbank. Jede Verspannung löst sich und es überkommt einen einfach ein Gefühl der Zufriedenheit.
Und so bauen sie ihre Hymnen in Perfektion: bei Liedern, wie Ode To The Red Queen, The Gentle Art Of Choking oder Cemented Shoes regiert natürlich im Wesentlichen der Stromknüppel, der aber lecker mit Zucker bestehend aus hervorragenden Melodien bestrichen ist.
Diese werden von dem sehr schönen Organ des sehr schönen (wie eigentlich die ganze Band) Som Wardner einem liebevoll aufs Trommelfell gestrichen, aber ab und zu z.B. bei Losing Touch muss er es auch mal schreiend striegeln. Aber auch das gehört zur Fellpflege dazu.
Natürlich lassen sie einem auch immer wieder Luft zum Atmen - etwa bei dem auch wortlos sehr leidendem Tongue-Tied, dem etwas leichteren Popsong Pieces oder dem getragenen quasi-Abschluss Falling Off The Floor, doch auch da treten früher oder später die verzerrten Gitarren schnell wieder in Erscheinung. Das nennt man halt Rock.
Allerdings kann ich mir schon gut vorstellen, warum das hier nicht so gezündet hat: für die raubeinigen Rockrecken und die sehr schlauen Progprofessoren ist das einfach zu poppig. Und für die weich ei-ngelegten Coldplay-Anhänger doch eine Nummer zu laut.
Doch für alle, die schon den Indie-Waschlappen in der einen Hand haben und die Hart-Kern-Seife in der anderen, brauchen natürlich noch die ordentlich breitwandige Sounddusche, um die anderen Sachen überhaupt schätzen zu können.

Zusammenfassend muss man sagen, dass das im Moment natürlich hoffnungslos altmodisch ist. Heute regiert die Lücke, wie bei The XX, jegliche Gitarren werden zugunsten von Synthesizern weg-Editiert. Auch wenn MGMT die feinen Herren von A Place To Bury Strangers im Vorprogramm sich auf die Füße starren lassen, ein Trend für die Massen ist das gerade nicht. Zum Erscheinen des Albums regierten noch die Nachwehen des Grunge und der NuMetal hatte sich zu voller Größe aufgeschwungen, da wirkte dieses laute Britrock-Album wohl noch etwas anders und konnte wenigstens bescheidene Erfolge einstreichen. Würde es heute erscheinen, wirkte es etwas fremdkörperlicher. Aber letztendlich: egal ob 1990, 2000 oder 2010: Am Ende zählt die Melodie. Und die gab es damals wie heute in schöner und weniger schöner Form anzutreffen.
Mit Finelines haben wir einen Vertreter der besseren Zunft vorliegen.

Hörbeispiele:
Always: Your Way
Grounded

nobono

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