Donnerstag, 24. Juli 2008

Reizüberflutung in Neongrün - Teil Eins

Wachsen durch Ambitionen. Das MELT! Festival emanzipiert sich und verliert dadurch viel von seinem Charme. Die Musik war trotzdem wundervoll, wie immer. Eine Bestandsaufnahme vom letzten Wochenende.


Viel geschrieben und gehört man die letzten Tage schon übers diesjährige MELT! Hauptsächlich Kritik und Stimmen, die ihre Unzufriedenheit beklagen. Amateurhafte Organisation, komplette Überfüllung, falsche Planung, furchtbare Kommunikation und schlechtes Personal sind da nur die häufigsten Nennungen. Und dran ist da sicher was. Nostalgische Erinnerungen an die Vergangenheit sind sicher angebracht, sollen aber nicht das sein, womit ich mich primär beschäftigen möchte. Es geht um die Musik! Darum sollte es auf einem Musikfestival gerade primär gehen. Musik und die Wirkung, die sie hat. Wenn das für viele durch Hysterie und vollkommen überhöhten Drogenkonsum definiert wird, dann kann man das ruhig armselig finden, muss es aber am Ende akzeptieren. Meine Eindrücke sind vielseitig und unglaublich detailliert. Deshalb habe ich beschlossen, dass alles zu splitten, um das Lesen angenehmer zu gestalten. So beinhaltet der erste Teil den ganzen Freitag, sowie die Hälfte vom Samstag. Der bald folgende zweite Teil nimmt sich dann den Rest vor und wagt ein Fazit. Die Bilder stammen übrigens von intro.de. Vielen Dank und viel Spass!

Freitag – Alles. Hier. Jetzt.

Pro 3-Tages-Festival gibt es meist einen Tag, an dem der Programmplan hoffnungslos überfüllt ist mit Sachen, die man unbedingt sehen will, aber obgleich der Masse nicht unbedingt schafft zu sehen. Bei mir und dem MELT! war’s der Freitag. Zu viel von allem. Erstmal Umgewöhnung über die neuen Gegebenheiten. Bändchen gab’s diesmal schon eher, kurz hinterm Zeltplatz. Sicher nicht schlecht gedacht, aber ab um 8 muss es da apokalyptische Zustände gegeben haben. Da wir aber von allem etwas mitkriegen wollten, gingen wir schon eher hin und hatten nicht diese Probleme. Dann wurde erstmal das umgestellte Gelände betrachtet. Aha, Gemini Stage jetzt gleich neben Eingang. Interessant. Vorbei ging’s an der neuen, umpositionierten Hauptbühne, auf welcher sich die Fotos durchaus Mühe gaben, die wenigen Frühkommer anzuheizen. Auch auf den DJ-Floors, wo gerade noch MTV’s Finest Markus Kavka housige Elektro-Beats auflegte war schon viel los. Generell: Viel. Dass man noch mal ein paar tausend Mann mehr hatte, als in den Vorjahren fiel diesmal extremst auf. Erste Überraschung des Abends… Lightspeed Champion auf der Hauptbühne, dessen cleverer Indie-Rock überraschend tanzbar und catchy war. Grundsympathisch war der nerdige Mann mit Hornbrille und Wollmütze sowieso. Als er dann noch gegen Ende das Star Wars Thema anstimmte waren ihm die Sympathien von meiner Seite aus gewiss. Hörenswert! Auch die Blood Red Shoes regten im Anschluss dazu ein das Tanzbein zu schwingen. Ihr White-Stripes-artiger Schlagzeug-und-Gitarre-Mix war ein Ohren- und Sängerin Laura-Mary Carter ein Augenschmaus. Lange bleiben konnte man nicht. Der enge Zeitplan saß im Nacken und nebenan gab’s auf der kleinen Bühne Late Of The Pier, neuen, heißen New-Rave-Indie-Whatever-Scheiß aus dem UK. Schon da wurde mir bewusst, wie unvorteilhaft die Gemini Stage diesmal gebaut war. Mit wackelndem Holzboden hatte das mehr was von nem Bierzelt. Dazu später mehr. Late Of The Pier waren ganz nett, sahen aber alle aus wie 14. Netter, tanzbarer Elektro-Rock mit vielen Tempowechseln, allerdings sicher wieder in nem Jahr vergessen. Oder nich. Vergessen hatte man Adam Green nicht, auch wenn er seinen Hype-Zenit bereits vor ein paar Jahren hatte. Der schlaksige New Yorker legte einen gewohnt souveränen Auftritt hin, überzeugte mit seiner seltsamen Soulstimme, lustigen Tanzeinlagen und jeder Menge cooler Songs. Außerdem bewies er Coolness, indem er auf die Hits „Emily“ und „Friends Of Mine“ (vermutlich, weil keine Streicher verfügbar waren) verzichtete. Entertainment hat er aber dennoch drauf. Man muss ihn einfach lieben. Ähnliches trifft ja auch auf Kate Nash zu, auf die ich mich als nächstes freute. Sieht gut aus, singt noch bessere Popsongs und soll live auch ganz herzallerliebst sein. Tja, leider hatte ich meine Rechnung ohne den Regen gemacht, der kurz nach Mr. Green auftauchte. Regen war sowieso ein ständiger Begleiter des Festivals. Ob in kurzen, zeitlich immer sehr unpassenden Schauern oder halt auch sinnflutartig, wie vor Mrs. Nash… Regen gab’s so häufig zu sehen, wie billige grelle Kinderklamotten. So stand ich da, unter meinem mickrigen Vordach und wartete. Und wartete. Aber Mrs. Nash kam nicht. Es stimme was mit der Technik nicht, wurde dann nach 40 Minuten verkündet. Uuuh, wie fix. Tja, damit musste mein erstes Live Date mit der jungen Pop Chansöse entfallen.
Denn ich musste in den MELT! Klub. Denn da gab es Does It Offend You, Yeah?, eine Band auf die ich mich mit am Meisten freute. Der MELT! Klub entpuppte sich zwar als überdachte, aber relativ kleine Konzerthalle am Anfang des Geländes. Noch dazu war die Zugangssituation denkbar schlecht und sollte einen Tag später fast zur Eskalation führen. Am ersten Abend ging’s noch. Okay, der Sound war nicht gut, aber als die junge Band aus London mit dem großspurigen Namen auf die Bühne kam, gab es kein Halten mehr. Ganz klar… der Stern dieser Band befindet sich am Steigen. Leider verzichtete die Band an dem Abend auf ihre schicken Pop-Songs des Debüts. So beschränkte man sich lediglich auf die bratzigen, harten Elektro-Rock-Bretter. Aber die brachten die Halle dafür zum Kochen. In der guten halben Stunde, die die Band spielte war das Publikum, zumindest vorn außer Kontrolle. Moshpit, Wall of Death, kollektives Ausflippen. Wenn es je eine treffenderer Mixtur aus Elektronik und Punk gab, dann diese. Die Band mühte sich gar nicht ab, perfekt zu spielen, hatte aber die Euphorie auf ihrer Seite. Vom Abgehfaktor definitiv der beste Gig des Festivals. Beim nächsten Mal auch bitte mit mehr Songs, Jungs. Die Tanzlust sollte eigentlich anschließend durch Hercules And Love Affair mit ihrem viel gehypten Retro-Disco-Sound weiter gestillt werden. Doch nix da. Aufgrund schlechter Planung wurden Teile der Band einfach in Berlin vergessen. Equipment wurde aufgebaut und anschließend kommentarlos wieder abgebaut. Alter Ego legten als Ersatz auf, die Band kam nich. Hat jemand Bescheid gesagt? Nein! Das Publikum wurde im Unklaren gelassen. Amateurhaft! Na ja, dieser kurze Dämpfer musste dann verkraftet werden, winkte doch der Höhepunkt des Abends. Die Editors! Ja, wenn es um die Editors geht, kommt man um Superlative nicht herum. Es war insgesamt das fünfte Mal, dass ich diese Band live erleben durfte und es war, wie immer, ein Hochgenuss. Kein Wunder. Mit diesem Songs, dieser emotionalen Kraft, dieser Größe. Ausflippen pur, als der mit Kapuze bestückte Tom Smith auf die Bühne schritt und die Band loslegte. Hit auf Hit. Alles war dabei. Egal, ob „Bones“, „Bullets“ oder was auch immer. Es war wie immer. Ein einmaliges Erlebnis, ein dunkler Reigen an Hits. „You Are Fading“ ist seit dem letzten Gig noch größer geworden und zu meiner Freude gab es mit „Open Up“ noch eine weitere B-Seite, sowie einen schicken komplett neuen Song. Die Band war gut drauf, keine Frage. Nur beim Publikum war dies nicht so der Fall. Vielleicht bin ich da auch nicht objektiv genug, aber dafür, dass da eine der besten Bands der Welt aufgespielt haben, war die Stimmung eher verhalten. Vielleicht zu ernst für all die Druff-Druff-Rave-Party-Kids. Einmal mehr beklagte ich mich über die scheinbare Oberflächlichkeit momentaner Indiepop-Kultur. Egal. Ich fands toll. Das konnte danach nichts mehr toppen an dem Abend. Weder Booka Shade, deren Auftritt hoffnungslos überlaufen war, noch Schlagergnom Alexander Marcus, dessen Trash-Faktor mit eindeutig zu hoch war. Zumal da Menschen mit seinen Shirts rumliefen, bei denen ich fest den Eindruck hatte, sie hätten die Ironie von Marcus’ Idee nicht ganz kapiert. Poptrash! Muss das sein? Dann lieber reinen Pop. Den gab’s mit der adretten Robyn, die kurz nach halb 3 morgens meinen persönlichen Abschluss des ersten Tages darstellte. Ihr Elektropop ist ungemein catchy und keck und noch dazu liefert sie ne gute Show auf der Bühne mit netten Tanzeinlagen, 2 Drummern (von den man de facto eh nur einen gehört hat) und ner schönen Licht-Show. Auch wenn sie zu Beginn des Konzertes kurz ausgerutscht ist. Sowas nockt den gestandenen Popstar von heut nicht um. Sicher, es war spülmittelglatter Pop, aber er war schön. Und mit einem so schönen Ohrwurm wie „With Every Heartbeat“ verlässt man das Gelände doch gern zum Sonnenaufgang.

Samstag / Teil I – Wenig Licht. Viel Schatten. Nochmehr Regen

Qualitativ und organisatorisch bot das MELT! dieses Jahr viel Licht, aber auch viel Schatten. Metaphorisch gesehen. Ansonsten viel Regen! Regen gab’s ganz unmetaphorisch, wie ich bereits die ganze Zeit. Auch gleich am späten Samstagnachmittag, als wir uns auf den Weg zum Gelände machen um PeterLicht zu begutachten. Das haben wir dann sogar mit leichter Verspätung geschafft und erreichten ihn pünktlich zu dem Zeitpunkt, als er sein Set mit dem „Sonnendeck“ eröffnete. Bei strömendem Regen. Ironie in Rheinkultur. Aber diese sympathische, kleine, schlaksige Mann lies einen mit seinem sonnigen Gemüt und sonnigen Melodien den Regen vergessen. „Das absolute Glück“ zum Greifen nahe. Tolle, neue Songs wie „Trennungslied“ gingen sofort ins Ohr. Und als dann der kleine Tross nässetrotzender Festivalbesucher gemeinsam „Wir machen uns nur Sorgen um unsere zukünftige Situation auf dem Arbeitsmarkt“ sangen, dann war dass das klassiche MELT! Musikliebhaber unter sich, vereint durch intelligente Musik, fernab von Style, Rave, Remmidemmi und „Druff, Druff, Druff“. Das Wort „Schön“ wird heutzutage sehr inflationär gebraucht, aber dieser Auftritt war einfach nur schön und hat dafür gesorgt, dass Herr Licht in meiner Wertschätzung sehr gestiegen ist. Der Wettergott sah es genauso, so dass am Ende der Regen aufhörte und die Sonne rauskam. Die Menschen applaudierten, Peter freute sich. Es war schön.
Solch schöne Momente sind leider immer relativ selten. Der Regen kam wieder. Und nicht nur der. Gewitter und apokalyptische Wolkenformationen hatte er gleich noch mitgebracht. Gegen 9 hieß es MELTuntergang. Wir befanden uns grad auf dem Weg zum Gelände (again) und konnten uns grad so unter einen Unterschlupf flüchten und sahen, wie draußen die Welt unterging. Wenigstens hatten wir Bier und etwas Schutz. Da hält sich das aus. So bekamen wir die sich verschlechternden Zustände auf dem Gelände, gerade zu The Notwist nicht wirklich mit. Erst als wir da waren. Schlamm, Kälte und Zeitplanverschiebungen. Wir wollten gern in den MELT! Klub, weil wir Schutz vor dem Regen suchten und wo anders nix interessantes lief. Doch der Einlass gestaltete sich schon als genial. Wenn man aus dem Schlammmeer herauskam wurde man in Abständen in die kleine Halle gedrängt. Dort erlebten wir die letzten Minuten von Rummelsnuff. Trash? Provokation? Eher Rammstein für Arme. Ein dicker, muskulöser Mann singt Seemannsgarn auf Industrialbeats von vorgestern. Na ja, wen’s hart macht. Hart war dann auch die Wartezeit auf Miss Platnum im Club. Ein wenig zu lange wurde am Sound getüftelt, so dass wir unseren Whitest Boy Alive Auftritt flöten gehen sahen. Die gute Frau kam dann auch mit Bläsersatz und Backgroundsängerinnen, mit denen sie schicke Choreographien eingeübt hatte. Alles ganz nett und ganz schön. Dancehall-Feminismus. Allerdings nicht meine Musik und für meine Verhältnisse ne Spur zu glatt aufgeführt. Egal. Die Ereignisse überschlugen sich danach bei The Whitest Boy Alive. Eine ungeheure Menschenmenge drängte sich in den Klub, wurde aber von den vollkommen überforderten Schlägerproll-Ordnern daran gehindert. Aus dem Klub selber kam kaum einer mehr raus, es wurde dann ein Notausgang hinten am Zaun geöffnet, der allerdings raus aus dem Gelände führte. Komplette Verwirrung. Wie kann man eine der angesagtesten Bands der Indie-Szene nur in einem winzigen Club spielen lassen. Hier hatten die Booker komplett versagt. Dann gab es technische Probleme und der Auftritt muss sich anscheinend extremst nach hinten verschoben haben. Egal. Da waren wir schon längst weg. Und stinksauer auf die Ordner und irgendwie auch die Organisation. Wer plant das? Egal. Abreagieren bei Franz Ferdinand. Die Indie-Haudegen der alten Schule (Ja, es is tatsächlich schon so lange her) spielten gegen halb 1 auf der Hauptbühne. Endlich Franz Ferdinand! War nie ein großer Fan, fand es aber schön, sie mal zu sehen. Ich erwartete nicht viel, bekam aber auch nicht viel. Sicher, die alten Hits wie „Matineé“, „Do You Want To?“ oder „Take Me Out” zünden immer noch, wie am ersten Tag. Richtig Stimmung kam aber weder bei Band noch bei Publikum auf, hat ich das Gefühl. Vielleicht lag’s am Wetter, vielleicht an den vielen, zwar guten, aber halt unbekannten, neuen Songs, die das schottische Quartett gespielt hat. Vielleicht war der Sound auch zu dünn, vielleicht hab ich mich auch getäuscht. Wer weiß. Es war nett, aber der Funke sprang nich so wirklich über. Höchstens auf einen der Kräne am Ende der Performance, der ironischerweise genau zu „This Fire“ in Flammen aufging, weil die Pyrotechnik gesponnen hatte. Ein schickes Bild, inkl. abschließendem Feuerwerk. Die Zeit des Rockens war nun vorbei. Die nächsten Stunden war Disco angesagt…

Lest im hoffentlich bald erscheinenden zweiten Teil, wie es Alexander Ridha aus Berlin schaffte, die Stimmung am frühen Sonntag morgen auf den Siedepunkt zu treiben und wie der extra um Björk zusammengeschusterte Festivalsonntag war. Teil 2 des MELT! Berichts folgt bald…

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