Meine 100 Alben 2000 - 2009 / Plätze 30 - 21

30. PeterLicht “Lieder vom Ende des Kapitalismus” (2006)
Als fast schon prophetisch könnte man das 2006er Werk des deutschen Songwriters PeterLicht beschreiben. Bereits ein paar Jahre vor der Finanzkrise besang er das Ende des guten alten Kapitalismus auf seinem gleichnamigen Konzeptalbum. Dass dabei keine linke „Ton-Steine-Scherben“-Prolemik herausgekommen ist, liegt vor allem daran, dass Herr Licht ein hervorragender Songschreiber ist, vielleicht der Beste, den wir in diesem Land haben. Seine Wortwahl ist feinstens und schafft eine durchaus gute Balance zwischen Kryptik und Klarheit. Dazu kommt die entspannte Grundstimmung dieses Albums, die etwas von einem lauen Sommertag hat. So verkommt der Zusammenbruch des westlichen Finanzsystems zu einem entspannten Befreiungsschlag, dem PeterLicht jegliche Dramatik und Panik nimmt. So ist dieses Album auch ein Gegenentwurf zur Leistungsgesellschaft, zu Konsum und zum alltäglichen Funktionieren und der Hektik. Licht besingt das „absolute Glück“ der Ruhe, ruft zum „Wettentspannen“ auf schaut ein wenig melancholisch aber durchaus zuversichtlich im Titelstück auf das System zurück. Doch stets blinkt der Schalk im Nacken durch, ein gewisser Wortwitz, welcher dem ganzen Thema die Schwere nimmt. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich „Mr. Sonnendeck“ nach seinen ersten beiden Alben hier deutlich vom Prinzip des Elektropops löst und Platz für Gitarre, Bass und Schlagzeug macht, was das ganze erdiger und greifbarer macht. Ein Aufbruch in eine neue Zeit, der aber die Melancholie nie außen vor lässt. Auch weil Licht sich nicht nur auf Politik beschränkt, sondern auch Zwischenmenschlichem einen Platz gibt, wie in dem phänomenal guten „Kopf Zwischen Sterne“, meinen nach wie vor liebsten deutschsprachigen Song. Und sicher, ich hab vielleicht nicht alle deutschen Klassiker der vergangenen zehn Jahre gehört, aber „Lieder vom Ende des Kapitalismus“ ist offiziell mein liebstes deutsches Album dieser Dekade. Intelligent, aber dennoch verständlich und außerdem voller Gefühl und Emotionen. Und trotzdem lädt es zum Mitsingen ein. Und dann auch noch mit jede Menge Politik drin. Eine Gradwanderung, welche sicher nicht alle Künstler so gut hinbekommen. Man braucht eine Weile, um es zu verstehen, aber dann erschließt sich dieses Album gern demjenigen, der bereit ist zuzuhören. Deutschland kann am Ende, wenn es will, doch noch Land der Dichter und Denker sein.
Hörpflicht: „Das Absolute Glück“, „Lied vom Ende des Kapitalismus“, „Kopf zwischen Sterne“
29. Morrissey “You Are The Quarry” (2004)
Retro sei Dank! Er war wirklich weg vom Fenster, der gute Stephan Patrick Morrissey. In den 80ern war er als Smiths-Frontmanm ein Idol, in den 90ern versank er langsam im musikalischen Niemandsland. Nach Jahren ohne Plattenvertrag und guter Songs, kam 2004 das überfällige Comeback. In einer Welt, in der britischer Indie-Rock gerade seinen x-ten Frühling hatte und sich alle Bands auf die Smiths als Einfluss einigen konnten, war die Welt wieder bereit für diesen Mann und seine Songs. Und so war „You Are The Quarry“ ein Erfolg auf ganzer Linie. Nicht nur wegen der Hits „Irish Blood, English Heart“ oder „First Of The Gang To Die“, welche Morrissey eine neue Generation von Fans erschloss. Auch der Rest kann sich sehen lassen. Morrissey ist wieder erstärkt und macht das, was er schon immer gemacht hat. Ein Rundumschlag gegen falsche Prominente (“The World Is Full Of Crashing Bores”), intolerante Amerikaner (“America Is Not The World”) oder seine Kritiker („How Can Anybody Possibly Know How I Feel?“). Und dazu das ewige Hadern mit sich selbst. Er resümiert über sein Leben (“I’m Not Sorry”), nur um an Ende voller Stolz, Würde und Pomp festzustellen: “You Know I Couldn’t Last“. Von allem bitte eine Spur mehr. Mehr Gitarren, mehr Pomp. Die Haare werden zwar grauer und der Vegetarierbauch etwas dicker, aber die großen Gesten sitzen wieder perfekt. „You Are The Quarry“ ist das stärkste Morrissey Soloalbum seit Beginn der 90er. Alles, was es an diesem Mann zu lieben gibt, findet sich hier. Und auch seine Kritiker werden wieder genug Material finden. Ihm ist alles egal. Er ist eine lebende Legende, hat Generationen von Musiker und Menschen nachträglich beeinflusst. Ein einsamer Fels, welcher sich in einem immer schneller werdenden Pop-Business eine gewisse Robustheit und Stilsicherheit bewahrt hat. Wenn es so einen Jacko-like-Titel, wie „King Of Indie“ geben würde, dieser Mann würde ihn zurecht tragen. Doch vermutlich würde er ihn gar nicht annehmen wollen. Morrisseys astreines Comeback war der Startschuss zu einer fulminanten zweiten Hälfte der Dekade, in denen dieser Mann noch mal alles gab. Vielleicht am Ende etwas zu viel, denn langsam geht ihm wieder die Puste aus, sowohl musikalisch, als auch wörtlich. Wenn sich dieser Mann demnächst noch mal eine Pause gönnt und bereit ist in 1,2 Jahren noch mal anzugreifen, dann kann dies durchaus etwas bringen, obwohl er eigentlich in Rente gehen wollte. Brauchen tut ihn die Musikwelt trotzdem nach wie vor.
Hörpflicht: “Irish Blood, English Heart”, “I’m Not Sorry”, “First Of The Gang To Die”, “You Know I Couldn’t Last”
28. Kent “Du Och Jag Döden” (2005)
Bereits zum zweiten Mal begegnen uns nun die Schweden von Kent in der Top 100. Nach einem okayer 73. Platz für das 2002er „Vapen Och Ammunition“, schafft es der Nachfolger „Du Och Jag Döden“ (Du und ich tot) sogar in die Top 30. Ein Wunder ist das nicht, denn „Döden“ ist das persönliche Meisterstück dieser Band, ein Album welches man als Band, wenn man Glück hat, nur einmal im Leben aufnimmt. So besticht das 2005er Werk mit viel atmosphärischer Dichte und wundervollen Songs, für die jegliche Sprachbarriere kein Hindernis darstellt. Nach dem poppigen Vorgänger schlägt „Du Och jag Döden“ einen deutlich düsteren, nachdenklicheren und melancholischeren Ton ein, trotz einer Powernummern, wie „Palace & Main“ oder „Max 500“. Der schnittige Basslauf von „400 Slag“ zählt immer noch zu meinen Lieblings-Albumanfängen, zumal dem Basslauf auch ein wundervoll hymnischer Song folgt. Die weiteren Songs bleiben hochmelodiös, lassen aber immer wieder diese spezielle nordische Melancholie durchsickern. Bsp. Beim akustischen „Järspoken“ oder dem anschließenden „Klåparen“. Die Stimme von Joakim Berg bleibt dabei das heimische Element, das die Songs auch weiterhin trägt. Und gerade wenn die Instrumentierung sich reduziert, wie beim simplen, traurigen „Rosor & Palmblad“ zeigt sie ihre ganze Kraft. Einer der Hauptgründe, dieses Album zu lieben bleibt für mich aber immer noch der epische Schlusstrack über den Mann mit dem weißen Hut. „Mannen I Den Vita Hatten“ ist über sechseinhalb Minuten ein wunderbares Wechselbad der Gefühle, in welches ich mich auch nach Jahren immer noch gern reinfallen lassen, auch weil der Song nach all der Dunkelheit des Albums am Ende eine gewisse Aufbruchsstimmung versprüht, voller Kraft und Energie. Mit diesem Geniestreich verpasst die Band dem Album das i-Tüpfelchen. Diese wunderbare Symbiose aus kraftvollen Gitarrenwänden und ruhigen, zerbrechlichen Momenten hat diese Band seitdem nie wieder in dieser Form hinbekommen, vielleicht auch weil sie es vielleicht so nicht mehr schaffen würde. Die Nachfolgealben „Tillbaka Till Samtiden“ und das jüngst erschienene „Röd“ gehen eher in eine elektronische Richtung, was an sich nicht verkehrt ist, aber dem Ganzen fehlt einfach die häufig Seele, die auf diesem Album noch so wunderbar zu hören ist. Bitte in Zukunft wieder mehr davon.
Hörpflicht: „400 Slag“, „Palace & Main“, „Mannen I Den Vita Hatten (16 År Senare)“
27. Interpol “Turn On The Bright Lights” (2002)
Aaaaahhh... Interpol. Nothing to explain! Mit drei unglaublich guten Alben (die anderen beiden kommen noch weiter oben, logischerweise) hat sich das Quartett aus New York in mein Herz gespielt und mich mit ihrer Musik öfters berührt als viele andere Bands. Hier ist mal wieder der Begriff „Lieblingsband“ fällig, wenngleich ich den auch gern mal bei zehn anderen benutze. Ist halt alles ne Herzensangelegenheit. Witzigerweise habe ich den Nachfolger „Antics“ eher kennen gelernt, deshalb ist das Debüt „Turn On The Bright Lights“ sozusagen mein zweites Interpol-Album. Das Gefühl ist aber das gleiche. Bereits beim Eröffnungstrack „Untitled“ entfaltet die Band ihre fulminante, düstere Energie, auch wenn sie hier noch hinter einer Nebelwand verborgen scheint. Erst beim darauf folgenden Song „Obstacle 1“ wird man konkreter. Die Geschwindigkeit wird angezogen, der Bass von Carlos Dengler vibriert vor sich hin und die treibende Stimme von Paul Banks dringt durch alle Körperzellen. In diesem Wechsel gibt sich auch das Album. Zum einen träumerisch-melancholisch, wie bei „NYC“ oder „Hands Away“ oder ruppig treibend, wie bei „Say Hello To The Angels“ oder „Ronald“. Doch stets bleibt man dabei düster und voller geheimnisvoller Magie. Ich kann das, wie immer, ganz schwer in Worte fassen. Ja, von mir aus, nehmt die Joy Division Vergleiche der Musikpresse, aber diese Band klingt in erster Linie nach sich selbst. Die einzelnen Elemente sind dabei bestens aufeinander abgestimmt, so dass man das Gefühl hat, jeder Akkordwechsel, jede Bridge ist genau da, wo sie hinmuss. Für ein Debütalbum ist „Turn On The Bright Lights“ recht professionell, das muss man zugeben. Textlich gibt sich Banks melancholisch-kryptisch, so dass die Songs gern zur Eigeninterpretation freigegeben sind. „She doesn’t know that I left my urge in the icebox“ stellt Banks dabei am Ende fest. Die Stimme unterlegt mit viel Hall über einem traurig, tragendem Melodiegefüge. Selten klang Musik gleichzeitig so kühl und distanziert, wie gleichzeitig herzlich. Im Vergleich zu den beiden Nachfolgern fehlt der Musik auf dem Debüt noch ein wenig das Konkrete. Man merkt, dass die Band noch nicht alle Trümpfe ausspielt. Ich kann gar nicht mehr dazu schreiben, ohne in belanglosen Mist abzudriften. Ich lade deshalb alle Leute ganz herzlich ein, sich näher mit dieser Band zu beschäftigen und in ihre Musik einzutauchen. Vielleicht wird es ja auch eine von euren Lieblingsbands.
Hörpflicht: “Untitled”, “Obstacle 1”, “Stella Was A Diver And She Was Always Down”, “Leif Erikson”
26. I Love You But I’ve Chosen Darkness „Fear Is On Our Side“ (2006)
Ha, und wo wir gerade bei der düsteren Magie sind... diese Band passt auch voll und ganz in diese Thematik. Hab ich ja schon bei „The Organ“ geschrieben. Mich kannst du einfach mit diesem düsteren New-Wave-Post-Punk-Scheiß rumbekommen. Interpol sind sicher die Band, die es diesbezüglich am meisten drauf hat, dich sollte man darüber hinaus auch nicht einige andere aus dem Fahrwasser vergessen. Den passenderen Namen haben I Love You But I’ve Chosen Darkness ohnehin. Wie EMO ist das denn bitte schön? Musikalisch sind Chosen Darkness eigentlich ein Interpol-Klon, wenngleich die es natürlich nicht ganz so perfekt hinbekommen und Frontmann Christian Goyer natürlich kein zweiter Paul Banks ist. Dennoch versprüht das Debüt „Fear Is On Our Side“ ebenfalls diese düstere Kälte, die ich an dieser Musik so liebe. Da ist man auch näher an den 80ern dran, als die Kollegen aus New York. Man beachte nur einmal den Hall des Schlagzeugs auf dem wunderbaren „Long Walk“, welches besagten Gang natürlich musikalisch bestens wiedergibt. Dazu kommen unglaublich viel Gitarren- und Synthiewände, die gern mal in Sphärische abdriften und es auf Tracks wie „We Choose Faces“ oder dem fulminanten Abschluss „If It Was Me“ gern mal maaslos übertreiben. Tracks wie die Single „According To Plan“ oder „Last Ride Together“ kann man eine gewisse Tanzbarkeit aber ebenfalls nicht aberkennen. Auch wenn Chosen Darkness stellenweise für viele Geschmäcker etwas zu dick aufdrücken (Mehr Delay, bitte!), ändert das nichts an der wunderbaren Atmosphäre, welches dieses Album von der ersten bis zur letzten Minute erzeugt. Es ist dieses Gefühl, welches nur diese Form von Musik bei mir auslösen kann. Wer also der Meinung ist, in dem musikalischen Feld noch etwas Neues zu entdecken, der möge gern mal reinhören und sich bezaubern lassen. Die etwas poppigere und etwas kitschigere Interpol-Ausgabe. Trotz eines gewissen Kritikererfolges fehlt von der Band seit einiger Zeit jede Spur. Entweder arbeitet man fernab der Zivilisation doch noch am Nachfolger, oder der Ofen ist bereits jetzt schon aus. Wäre irgendwie schade, wie so oft.
Hörpflicht: “According To Plan”, “Lights”, “Long Walk”, “If It Was Me”
25. Elbow “The Seldom Seen Kid” (2008)
Das war aber überfällig! 2008 war das Jahr, in welchem die famosen Elbow endlich in der britischen Heimat vom Geheimtipp zu etwas Größerem wurden. Top 10 Platzierungen gab’s, Radiohead hat man den renommierten Mercury Prize vor der Nase weggeschnappt und den Brit-Award gab’s genauso, wie ne ausverkaufte Wembley Arena. Von Album zu Album hat sich diese Band auf einem ohnehin schon sehr hohen Niveau immer wieder gesteigert, um mit „The Seldom Seen Kid“ den vorläufigen kreativen Höhepunkt zu erreichen und ihr stärkstes Werk vorzulegen. Die Jahre als Geheimtipp hinter Coldplay und Co. haben die Band aus Manchester geformt und ließ sie ihre melancholischen, immer etwas schrulligen und auch irgendwie sehr britischen kleinen Popsongs perfektionieren. Und wie bei den Vorgängern ist es am Ende wieder die Stimme von Sänger Guy Garvey, welche einen wie ein heller Leuchtturm, durch alles Chaos und alle Experimentierfreude nach hause geleitet. Die Texte sind gefühlvoll, die lyrischen Bilder Garvey’s schwanken zwischen Genialität und witzigem Unterton. „The Seldom Seen Kid“ wirkt dabei wie aus einem Guss und wurde einem vorher verstorbenem Freund der Band gewidmet. Dies verleiht der Platte eine gewisse Intimität und Authentizität. Ein Album, welches sich hervorragend für die Nacht eignet. Sperrigen Songs, wie dem groovigen „Grounds For Divorce“ oder dem bartrunkenen „The Riot“ stellen sich melancholische Songs wie „Mirrorball“ gegenüber. Und immer lockt der Hang zu großen Momenten. „The Loneliness Of A Tower Crane Driver“ entwickelt sich am Ende zu einem gewaltigen Monster und spielt orchestral in einer anderen Liga. „Weather To Fly“ strotz vor vorsichtigem Optimismus, den „One Day Like This“ später inklusive Chor auf die Spitze treibt. Das Album endet mit dem unglaublichen „Friends Of Ours“, einem der traurigsten Songs, den ich je gehört habe. Die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen, der vorsichtige Optimismus und die leise Erkenntnis „Love you, mate“. So ist dieses Album Trauerbewältigung, Nachtsoundtrack und Liebeserklärung in einem. Untermalt von Musik, der ich wirklich den Begriff „Anbetungswürdig“ verleihen möchte. Schön, dass es immer noch so aufrichtige, bewegende Musik, wie diese gibt. Ein episches Meisterwerk, das eben keins sein will und bei dem man sich ausnahmsweise mal mit Kritikern und Käufern einig sein kann. Wann gibt es so etwas schon noch mal. Ich hoffe auch für die nächsten zehn Jahre, dass sich die Band treu bleibt. Dann besteht noch Hoffnung! Ich trinke drauf!
Hörpflicht: „Mirrorball“, „Grounds For Divorce“, „One Day Like This“, „Friend Of Ours”
24. Sigur Rós “( )” (2002)
Ach, mal wieder meine Lieblingsisländer von Sigur Rós. Was soll ich da eigentlich noch schreiben, was ich nicht schon bei „Takk…“ weiter oben bereits getan hab und was die Welt ohnehin schon weiß. Natürlich macht diese Band die wundervollste Musik auf Erden über deren Kraft und Emotionalität ich ja eigentlich niemandem mehr großartig was erzählen muss, oder? Fokussieren wir uns mal kurz auf das 2002er Album, welches eigentlich keinen Namen hat, aber gern als das weiße Album der Band bezeichnet hat, bzw. als „( )“. Dabei treibt die Band die Namenlosigkeit auf die Spitze und stellt die Musik mehr denn je vor alles andere. Das Album hat keinen Namen, auch die 8 Stücke darauf haben keine. Und selbst das Booklet ist durchsichtig und bietet keine Informationen. Und wenn das nicht schon genug wäre, singt Sänger Jonsí auch nicht, wie üblich auf Isländisch, sondern in einer Art Fantasiesprache, die man sich selber ausgedacht hat. Ich glaube, er singt in dieser Sprache auch nur einen einzigen Satz in unterschiedlichen Variationen, bin mir da aber nicht sicher. Musikalisch geht „( )“ den Weg des Vorgängers “Ágætis Byrjun” natürlich weiter, wenngleich der Grundton vielleicht noch ne Spur düstere ist und gerade in der zweiten Hälfte verstärkter ins Experimentelle und Verstörende abgleitet. Die verhältnismäßig ruhigen, traurigen Songs 1 bis 4 sprechen da noch eine ganz andere Sprache. Doch gerade der fast 12minütige Abschlusssong ist noch mal eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Vielleicht ist „( )“ nicht das ideale Einstiegsalbum in die Klangwelt von Sigur Rós. Bei mir war es das aber ironischerweise. Vermutlich ist der Rest dagegen ein wenig Kindergarten. Aber gerade deshalb hat das weiße Album der Band für immer einen besonderen Platz in meinem Herzen. Und jetzt hör ich hier aber auch mit Schwafeln. Über diese Musik redet man nicht, sondern man hört sie! Versteht das hiermit als verbindliche Aufforderung dazu! Danke!
Hörpflicht: “Untitled #1”, “Untitled #3”, “Untitled #8”
23. Arctic Monkeys “Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not” (2006)
Es war die Band, die damals aus dem Nichts kam und alles überrannte… die Arctic Monkeys haben es trotz Verbreitung durchs Internet geschafft, am schnellsten verkaufte Debüt der britischen Chartsgeschichte abzuliefern. Der Wirbelsturm der arktischen Affen um Alex Turner aus dem beschaulichen Sheffield umfasste in Windeseile Kritiker, Musikerkollegen und natürlich die Fans. Die füllten in England bereits vor dem Release des Albums die größeren Hallen und sangen im Festivalsommer 2006 zu Tausenden die Songs des Debüts auf den großen englischen Festivals… ein Hype, den es in dieser Form seit Oasis nicht mehr gab. Und die Parallelen sind durchaus vorhanden, was die Arctic Monkeys vielleicht zu der einzig wahren Band der Generation „Indie“ (hat die eigentlich ’nen Namen?) macht, wenngleich da natürlich mit Maximo Park, Bloc Party oder anderen Kandidaten noch reichlich Konkurrenz mit am Start war. Doch die Monkeys sprachen einfach die Mehrheit ihrer Generation. Selbst gerade mal die 20 geknackt, versprühen die Lads aus Sheffield vor allem viel Authentizität auf „Whatever People Say I Am… .“ Das sind dann natürlich die Themen aus dem Arbeitermilieu, Songs über verzweifelte Liebe, Diskotheken, Alkohol und die alltägliche Tristesse von Orten, wie eben Sheffield. Turner verpackt all dies in eine erstaunlich direkte, aber trotzdem noch sehr lyrische Sprache, mit welcher er häufiger zu rappen, als zu singen scheint. Und obwohl die Songs teilweise hingerotzt wirken und diesen Garagenrock-Charme haben, wird deutlich, dass diese Band bereits damals vor allem musikalisch sehr, sehr talentiert war. Selbst wüste Songs wie „You Probably Couldn’t See For The Lights…“ oder “Perhaps Vampires Is A Bit Strong...” lassen unter all der jugendlichen Energie interessante Strukturen entdecken. Und auch ruhigere, melodiösere Songs, wie „Mardy Bum“ oder das abschließende „A Certain Romance“ beweisen, was für gute Musiker und kreative Songschreiber hier am Werk sind. Die Songs kennt eh jeder. „The View From Afternoon“ erschlägt einen gleich zu Beginn, „Dancefloor“ kann man vermutlich nicht mehr hören und „When The Sun Goes Down“ ist immer noch pure Energie. Der Erfolg kommt nicht von ungefähr. Die Monkeys sind als 19jährige Lads einfach authentischer als viele andere Bands. Hinzukommen tolle, lebensechte und gut geschriebene Songs voller Energie, die genau in die Lücke trafen, welche die Libertines damals hinterlassen hatten. Echter, gut gemachter Gitarrenrock ist halt immer ein Erfolgsgarant, auch außerhalb des Vereinigten Königreiches. Man muss einfach die Zeit hinzusehen, um dieses Album, diese Band und diesen Wirbel zu verstehen. Vielleicht wär das heute in der Form auch nicht mehr so möglich, aber damals waren die Arctic Monkeys für kurze Zeit die Lebensretter schlechthin. Auch heute erinnere ich mich beim Hören immer noch gern an diese Zeit zurück. Die Band hat sich glücklicherweise nie auf diesem Erfolg ausgeruht, sondern sich stetig musikalisch weiterentwickelt und macht gerade deshalb heut immer noch viel Spass, auch oder gerade weil sie halt nicht mehr so grün hinter den Ohren ist.
Hörpflicht: “The View From The Afternoon”, “Fake Tales Of San Francisco”, “When The Sun Goes Down”, “A Certain Romance”
22. Tiger Lou “The Loyal” (2005)
Rasmus Kellermann aka Tiger Lou hat wohl nur darauf gewartet, bis er endlich eine Band um ein Indiefolk-Projekt scharren konnte, um dann in die Vollen zu gehen. War das Debüt „Is My Head Still On?“ noch von melancholischen Akustikgitarren geprägt, wird der Musik auf dem Nachfolger „The Loyal“ etwas Strom hinzugefügt. So überrascht uns Kellermann mitsamt Band nun mit einem neuen, noch düsteren, noch melancholischeren Sound. „The Loyal“ ist dabei wie ein packender Nachtflug. Damit meine ich sowohl den gleichnamigen Titeltrack, wie auch das ganze Album. Der gesamte Spund bekommt eine Art New-Wave-Anstrich und damit dürfte ja schon klar sein, was mich an diesem Werk so fasziniert. Es sind diese unglaublich atmosphärischen Songs, die zwischen Energie und Melancholie wechseln. Doch selbst druckvolleren Songs wie „Patterns“, „Functions“ oder „Like My Very Own Blood“ haftet etwas nachdenkliches, trauriges an, welches sich bei den ruhigen Nummern vollends entfalten kann. In den richtigen Momenten können Lieder, wie „Ten Minutes To Take Off“ oder „Nixon“ lebensrettend sein. Gerade Ersteres klingt wie ein wunderbar düsterer Traum. Wenn ihr nachts in der U- oder S-Bahn sitzt und nach draußen ins schwarze Nichts schaut, dann werdet ihr es verstehen. Die Musik von Tiger Lou ist intensive Gitarrenpopmusik voller kleiner Hits, die voller großer Atmosphäre stecken. So geht das Konzept mit „The Loyal“ voll und ganz auf, von „Woland’s First“ bis „Woland’s Last“. Eine ganz eigene, kleine Welt. Auf dem Nachfolger „A Partial Print“ wird die Thematik Konzeptalbum sogar noch etwas direkter umgesetzt. Mittlerweile hat Kellermann das Projekt Tiger Lou erst einmal für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt um sich neuen Dingen zu widmen. Das ist natürlich ein ziemlich herber Verlust, weil die Musik von Tiger Lou sich in den letzten Jahren zu etwas sehr Eigenem geformt hat, was nicht häufig passiert. „The Loyal“ ist ein traumhaftes Album, welches mir viele gute und lebensrettende Stunden beschert hat und das ich nicht missen möchte. Vielleicht kann es ja einen ähnlichen Effekt auch auf andere Menschen haben. Und wenn die dann auch alle das Album kaufen, dann überlegt es sich die Band vielleicht noch mal mit der Pause.
Hörpflicht: “The Loyal”, “Nixon”, “Ten Minutes To Take Off”, “Like My Very Own Blood”
21. Maximo Park “A Certain Trigger” (2005)
“Hallo, wir sind Maximo Park aus Newcastle“ – „Und was habt ihr zu bieten?“ – „Na, wir haben hier ein Debüt mit so Wave-Indie-Pop-Rock“ – „Es ist 2005, das hat doch grad jeder“ – „Gut, dann hören sie sich’s doch mal an“ – es folgt bedächtiges Schweigen. Schon beeindruckend, was die Herren um Paul Smith da auf ihrem Debüt verzapft haben. „A Certain Trigger“ haut einem mal eben so 13 Superhits um die Ecke, bei denen jeder Song aus sich herausschreit: „Wir sind hier, wir sind jung, wir zeigen’s euch!“ Ich hab’s damals in voller Fülle nicht sofort verstanden, sondern etwas länger gebraucht, wenngleich die richtig großen Hits natürlich sofort zünden. Ich rede von „Apply Some Preasure“, „Going Missing“ oder „Limassol“… die Songs die jeder kennt und jeder mitsingen können sollte. Oder auch das unverzichtbar wundervolle „The Coast Is Always Changing“, mein heimlicher Liebling des Albums, der Leben retten kann, wenn er denn muss. Musikalisch fischt man in den bekannten Gewässern. So bissle „Gang Of Four“ und auch ruhig die Smiths nicht außen vor lassen. Das funktioniert aber deshalb so gut, weil es damals natürlich zum einen, wie schon weiter oben, bei den Herren Monkeys erwähnt, einfach frisch und unverbraucht wirkte und zum anderen, weil die Songs wirklich ausnahmslos eingängig und zackig sind. Kurz, kompromisslos und hoffnungslos melodieverliebt. Dazu die wunderbar sophisticated lyrics von Everybody’s Darling Paul Smith, welche dem ganzen, gepaart mit seinem naturgegebenen Charisma so ein gewisses Extra geben. Stärker als die Konkurrenz versuchte sich die Band neben der schroffen Tanzbarkeit ihrer Post-Punk-Hits auch am Pop, was ebenfalls ein gewisses Ausrufezeichen mit sich brachte. Es wird die Kombination aus all diesen Elementen sein. Das Auftreten der Band, das Timing innerhalb dieser neuen musikalischen Strömung und natürlich die fulminanten Songs auf „A Certain Trigger“. Manchmal könnte man dabei schon nostalgisch werden und an den Sommer 2005 zurückdenken, als dies alles irgendwie neu war und man davon noch nicht so genervt war, wie heute. Doch das Leben geht ja bekanntlich weiter und die Küste ändert sich ja ebenfalls ständig, wie wir wissen. Es folgten 2 weitere, sehr gute Alben, die aber nie wieder diesen Effekt hatten, den „A Certain Trigger“ hatte. Aber so ein Debüt machst du halt bekanntlich auch nur einmal. Ob ein heute 20jähriger dieses beim Hören des Maximo Park Debüts auch so sehen würde, kann man im Raum stehen lassen. Ein heute 25jähriger, wie ich sieht es zumindest so und ist mit seinem Top-100-Countdown nun tatsächlich bei den heiligen Top 20 angekommen, welche wir dann demnächst gemeinsam entern werden.
Hörpficht: “Apply Some Preasure”, “Graffiti”, “Going Missing”, “The Coast Is Always Changing”
rhododendron - 15. Nov, 22:27