Das verflixte dritte Album

Zeit gelassen haben sich Circa Survive ja lange genug, um nach zwei grandiosen ersten Alben, keinen Fan-Kühe melkenden Schnellschuss rauszuhauen. Neue Instrumente, neue Songstrukturen, neue Grundstimmung, neuer Sound. Alle essentiellen Punkte für das schwierige dritte Album wurden abgeklappert und abgehakt. Ein weiteres Highlight ist Blue Sky Noise trotzdem nicht geworden.
Die ersten beiden Werke Juturna und vor allem On Letting Go waren grandios. Perfekte Lieder aneinandergereiht und alles durch träumerisch vielschichtige Songteppiche zusammengekittet. Ganz große Kunst. Dazu noch die schier unerklärlich schöne, hohe Stimme von Antony Green, die in diesem Gewebe aus sich umtänzelnden Gitarren und breakigem Schlagzeug ein weiches Kissen gefunden hat, in das sie sich bequem betten konnte. Die Frage war nur: Was kann da noch kommen?
Die Antwort erstmal: lange nix. Vier Jahre lang musste der geneigte Fan auf ein neues Lebenszeichen seiner Lieblingsband warten. Zwischendurch konnte man zwar von den einzelnen Bandmitgliedern noch einige Leuchtfeuer beobachten, die jedoch nicht so begeistern konnten, wie der Hafen der Hauptband. Aber so war zum Beispiel die Wahnsinnsstimme des Sängers auf seinem Soloalbum Avalon, dass er unter eigenem Namen veröffentlichte, in einem neuen Rahmen hörbar. Nämlich weitgehend verzerrungsfrei bzw. von akustischen Gitarren begleitet. Allerdings funktionierte das eher schlecht als recht. Irgendwie machte sich auf diese Weise nämlich doch sein geringer stimmlicher Umfang bemerkbar und eine Art der Melodieführung, die außerhalb des Gitarrenbausch von Circa Survive oder Saosin (seiner ersten Band, aus der er spontan kurz vorm Durchbruch ausstieg, um die jetzige Band zu gründen) nicht wirklich aufregend klang.
Und leider, leider ist das auch woran das neue Album hauptsächlich krankt. Denn die jungen Herren haben - drittes Album: Veränderung steht auf der Tagesordnung - ihren Klang einer kleinen Runderneuerung unterzogen. Etwas entschlackt und allgemein roher. Nicht mehr so flächig in seinem Zusammenspiel, sondern mit Lücken, Breaks und neuen Instrumenten. So vernimmt der aufmerksame Hörer mal ein Piano, mal eine Orgel, mal klassische Metalriffs inklusive zweistimmigem Gitarrensolo (ohne dicker-Eier-Sound versteht sich), Groupshouts, Wah-wah-, Tremolo- und akustische Gitarren und zum Schluss gar einen astreinen Kinderchor, dem ein Instrumental (!)-Stück vorausgegangen ist. Das alles sind auch alles nette Gimmicks, jedoch passiert etwas, was bei dieser Band der absolute Super-GAU ist: Die Songs werden fassbar. Während der Auditeur von der Wattelawine, der fein ziselierten und engmaschig verknüpften Instrumenten der beiden Vorgängerwerke einfach nur hinweg getragen und mitgerissen wurde, kann er nun Luft holen – die Songs unterscheiden, bei ruhigeren und dünner instrumentierten Teilen rasten und das Geschehene Revue passieren lassen. Und man stellt fest, das sie mit ihren Songs vielleicht doch schon alles gesagt haben.
So fällt auf, dass die Melodiebögen die geformt wurden, doch irgendwie sehr vertraut klingen beziehungsweise direkt von den vorangegangen Stücken geklaut und in neuen Rahmen gesetzt zu sein scheinen. Die Refrains, trotz astreinem Popappeal und Mitsingqualitäten, doch etwas zu schlicht sind. Die Texte immer wieder nach dem gleichen Rezept gebacken worden – spätestens beim fünften Song möchte man das Wort I also Ich nicht mehr personalpronomiert wissen. Es entsteht der Effekt, dass man sich satt und sitt gehört hat. Eine völlig neue Erfahrung im Bezug auf Circa Survive – nachdem man sich die anderen Sachen von ihnen problemlos beide zweimal hintereinander anhören konnte, ist man hier zufrieden wenn das Album durch ist und kann ohne Weiteres andere Musik erklingen lassen. So ist das, wenn man nicht mehr auf eine andere Ebene gehoben wird.
Und so bleiben die sehr guten Songs zwischen den anderen durchschnittlichen Emo-Songs und Halbballaden an einer Hand abzählbar. Neben der wahnsinnigen hakenschlagenden und Gänsehaut-erzeugenden Vorabsingle Get Out, wären noch zu nennen: Die anständige Powerballade Dyed In The Wool, die das Album mit Chor und allem Trara abschließt, den man sich wünschen kann. I Felt Free, das sich anhört wie die Kammerrockversion eines Morrissey-Songs. Frozen Creek, das die alte Magie noch einmal heraufbeschwören kann. Und die sehr schöne Sommernachtsballade Spirit Of The Stairwell, wo die akustische Herangehensweise sogar funktioniert. Ganz hervorragend sogar.
Der Rest muss noch wachsen oder hat wirklich nicht viel Substanz. Ein abschließendes Urteil möchte ich mir nach zweimaligem Durchhören noch nicht erlauben. Schließlich ist das Album ja erst heute erschienen.
Hörbeispiele:
Get Out (YouTube)
Spirit Of The Stairwell (YouTube)