Freitag, 30. Juli 2010

Niemals loslassen...

Auf ihren stets ausgiebigen Deutschland-Besuchen schauen die New Yorker Indierock-Urgesteine Nada Surf erstmals im schönen Dresden vorbei. Ein kleiner Erfahrungsbericht vom gestrigen Konzert im dortigen Beatpol.

Letzte Woche bin ich 26 geworden. Das ist nicht das Ende der Welt, freilich, aber zumindest der faktische Beweis dafür, dass ich nun endgültig den 30ern näher bin, als den 20ern. Damit sollte der Bereich der Adoleszenz nun, glaubt man der öffentlichen Meinung (und Wikipedia), eigentlich hinter mir gelassen werden. Sprich: ich bin jetzt erwachsen und muss mich gefunden haben. Hmmm, ungeliebte Vorstellung. Ist so was in Zeiten des demographischen Wandels überhaupt noch zeitgemäß? Die Popmusik zumindest muss jugendlich bleiben. Sagt sie ja selber ständig. Bei Indie-Musik ist das dann teilweise nicht mehr nötig, wenngleich ich wohl bei nem Konzert der, sagen wir mal, Crystal Castles, eher im oberen Altersdrittel zu finden sein würde. Na ja, lange Vorrede, kurzer Sinn: bei Nada Surf Konzerten ist das alles irgendwie nicht so schlimm, zumal die ja auch schon in einem gewissen Alter sind. Frontmann und Berufsjugendlicher Matthew Caws wird nächste Woche bspw. 43 und sieht nach wie vor immer noch so aus, als wäre er irgendwann Anfang 30 kyrogenisch eingefroren worden. Drummer Ira Elliot ist sogar schon Ende 40 und Kettenraucher Daniel Lorca? Na ja, so ganz unverbraucht sieht der auch nicht mehr aus. Darf er ja auch. Die Band gibt’s jetzt fast schon seit 20 Jahren und der Erfolg in Indie-Kreisen ist zumindest seit zehn Jahren ungebremst, was man auch am relativ vollen Beatpol an diesem Abend sieht. Folklore-Freund Kevin Devine heizt dann als Opener mit emotionalem Akustik-Seelenstrip schon mal die Herzen vor und lässt die angereisten Menschen unterschiedlichen Alters auf die Hauptband freuen.

20091009-130933-171356Jede Band hat in ihrem Leben einen kreativen Höhepunkt bzw. Zenit. Ihn zu erreichen ist ganz natürlich, ihn hinter sich zu lassen ebenso. Bei manchen dauert er länger, bei anderen gerade mal einen Song oder so. Der perfekte Moment, in dem alles gelingt und alles scheinbar leicht erscheint. Im Falle von Nada Surf ist es ein Album und zwar „Let Go“ aus dem Jahr 2002. Irgendwelche Gegenargumente? Die Mehrheit im Beatpol hätte mir gestern zugestimmt. Ich habe zumindest mehr Leute mit einem frisch am Merchstand gekauften Exemplar des 8 Jahre alten Meisterwerks gesehen, als mit einer Ausgabe des jüngst erschienenen, allerdings recht durchschnittlichen Coveralbums „If I Had A Hi-Fi“ gesehen. Die Publikumsreaktionen bei den „Hits“ dieses Indie-Kleinods sind ebenfalls eindeutig. Die Band macht aus der Not eine Tugend und lässt den Songs von „Let Go“ immerhin ein Drittel der Setliste Platz. Man ist sich der Stärke bewusst, spielt sie auch und das ist ja auch gut so. Will man ja auch so hören. Und es wäre natürlich der Band gegenüber nicht fair, das alles nur auf eine Platte zu schieben, denn auch der 2005er Nachfolger „The Weight Is A Gift“ hatte noch einige wirklich gute und große Momente, sogar „Lucky“ aus dem Jahr 2008. Mit zwei Songs aus diesem Album, „Weightless“ und „Whose Authority“ beginnt die Band kurz nach 10 ihr Set und wirkt so entspannt und lässig, wie eh und je. Gut, außer Elliot, welcher hinter seinem Schlagzeug gern mal etwas miesepetrig darein schaut. Ein vierter Mitmusiker wurde sich von Calexico ausgeborgt. Und die Trompete stand natürlich erwartungsgemäß hinter ihm bereit. Dann spielen Nada Surf erstmals die „Let-Go“-Karte aus und bei „Happy Kid“ geht ein leichtes Raunen durch den Raum. Die darauffolgenden Songs „Inside Of Love“ und „Fruit Fly“ von selbiger Platte tun dann ihr Übriges. Doch warum funktioniert das immer noch so gut? „Let Go“ hat nicht nur die richtigen Songs, sondern auch die passende Atmosphäre. Sie strahlt ein hohes Maß an Lässigkeit, aber auch Melancholie aus. Das Zweifeln am Leben wird genauso bedacht, wie die Freude daran. Es thematisiert die allgemeine Unsicherheit und das Suchen und Finden im Leben. Das funktioniert mit 16 genauso, wie mit 46. Das thematisiert Caws ja auch auf anderen Songs, aber nirgends passte das so zusammen, wie auf diesem Werk. Und das wird auch nie wieder so funktionieren, was auch in Ordnung ist. Aber das dieses Album Leben retten kann, steht außer Frage. Ich denke, dass Publikum wird mir zustimmen. Deshalb will man diese Songs auch hören und die Band will sie auch spielen. Das Coveralbum war eher eine spaßige Nebensache, die jetzt als Anlass dient, mal wieder auf Tour zu gehen. Und die Tatsache, dass lediglich vier Songs aus dem Album gespielt werden, zeigt das ja auch. Immerhin ist das Depeche-Mode-Cover von „Enjoy The Silence“ richtig gelungen und „Love And Anger“ von Kate Bush ist ein wirklich toller Popsong, der auch bei Nada Surf funktioniert, eben weil sie sich dicht als Original halten. Und im Falle des Go-Between-Covers „Love Goes On“ passt das ja auch, weil die Nummer von Natur aus eh schon wie eine Nada-Surf-Eigenkomposition klingt. Aber diese Songs tendieren halt überhört zu werden, immerhin hat die Band zu viel tolle eigene Lieder dabei. Das tolle „80 Windows“ wird dank Trompete noch mal ordentlich aufgearbeitet, beim unkaputtbaren „Blonde On Blonde“ haben selbst hart gesottene Männer die ein oder andere Träne im Knopfloch und „Hi-Speed Soul“ klingt immer noch so unnachahmlich catchy, wie vor Jahren. Konservierte Glückseeligkeit! Nada Surf sind die Zeremonienmeister im Zirkus der Zärtlichkeiten, erlauben sich auch das ein oder andere Lob ans Dresdner Publikum bzw. diverse Scherze über die nicht angestrahlte Discokugel im Raum. Mit ihr hätte das doch eine gewisse Abschlusstanz-Atmosphäre gehabt, was ja durchaus im ewig jugendlichen Sinne der Band gewesen wäre.

Nach dem introspektiven und viel umjubelten „See These Bones“ verabschiedet man sich in die Pause, kommt aber noch mal zurück für ein paar Zugaben. Darunter die ultimative Underdog-Hymne „Popular“, welche ebenfalls noch so funktioniert, wie in den 90ern. Einfache Botschaften, sympathisch verpackt. „Always Love“ muss natürlich auch noch kommen und am Ende wird natürlich „The Blankest Year“ gefeiert. Denn bei aller Grübelei und Finderei im Leben, muss es am Ende einfach auch mal eine Party sein. Und die wird gefeiert. Fick es! Obligatorisch werden die Menschen auf die kleine Beatpol-Bühne geholt und man feiert zusammen mit der Band. Etwas melancholisch werde ich dabei schon, denn vor etwas mehr als zwei Jahren war ich selber einer der Bühnenherumspringenden da oben und hab damals versehentlich sogar Kollege Lorca im Trubel fast umgenietet. Viel ist seitdem passiert und hat sich verändert, aber Nada Surf und ihre Musik haben Bestand. Auch an diesem Abend. Die Band übt sich in Pflichterfüllung, die zu keinem Zeitpunkt wie eine solche wirkt und man möchte ihnen angesichts der ganzen wunderbaren Momente glatt die Stagnation verzeihen, der ihre Musik seit Jahren erliegt. Aber darauf kam es an diesem Abend ja auch irgendwie nicht an. Was bei aller Kritik und allem Rumlamentieren über das Alter am Ende halt zählt, ist die wunderbare Wirkung, welche diese Musik auf die jene Menschen hat, welche sie hören. Und egal ob die Leben dieser Zuhörer schon gerettet wurden, sie erst noch gerettet werden oder sie gerade erst anfangen, diese Musik zu entdecken: Nada Surf sind eine Band, die musikalisch vielleicht keine Großtaten mehr vollbringen will und muss, welche aber von ihrer Stärke weiß, Menschen mit ihren Themen aus dem Herzen zu sprechen und dann auch mitzureißen. Es ist halt immer noch der „same damn planet everytime I look“. Egal, wie alt man sich fühlt oder tatsächlich ist.

Setlist / Nada Surf - Dresden - 29.07.2010 /

01 Weightless
02 Whose Authority
03 Happy Kid
04 Inside Of Love
05 Fruit Fly
06 What Is Your Secret?
07 Electrocution
08 Kilian’s Red
09 80 Windows
10 Enjoy The Silence
11 Love And Anger
12 The Way You Wear Your Head
13 Firecracker
14 Love Goes On
15 Blonde on Blonde
16 Hi-Speed Soul
17 See These Bones

18 Do It Again
19 Popular
20 Always Love
21 The Blankest Year

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