Montag, 15. November 2010

Krisenfeste Kumpels

Ist der Ruf erst ruiniert, rezensiert es sich ganz ungeniert. Ja, nachdem ich mit meiner Lobhudelei bezüglich der neuen Take-That-Single „The Flood“ schon alle Indie-Credibility bewusst aufs Spiel gesetzt habe, gehe ich jetzt gleich mal in die Vollen. Ja, genau. Ich. widme. mich. dem. Album! Das erscheint leak-bedingt schon heute im UK und am Freitag dann auch in Germany. Der wiedervereinigte Fünfer bekommt keine Heiligsprechung, aber ein paar Komplimente.

41vAMwT5olL-_SL500_AA300_Die Boygroup ist ja eigentlich ein popkulturelles Phänomen der 90er. Also damit meine ich die klassische Rumhüpf-Tanz-Boygroup dieser Epoche. Sicher gab’s vorher auch die Bay City Rollers und heute die… hmmm, sagen wir mal Kooks oder so, aber wir reden von der guten alten Boygroup, die keine Instrumente brauchte, weil sie viel zu beschäftigt damit waren, süß auszusehen und rumzuhampeln. Weitestgehend ausgestorben heute, glücklicherweise. Aber in den 90er schossen sie wie Pilze aus dem Boden, gerade in Germany. Muss ich die Namen „Bed & Breakfest“ oder „Touché“ erwähnen? Während deren Beteiligte heute Galileo oder Neun-Live-Call-In-Sendungen moderieren ist es anderen besser ergangen. Justin Timberlake wurde Weltstar, die Backstreet Boys existieren immer noch, wenngleich das außer ihnen niemanden zu interessieren scheint und dann natürlich die Mutter aller Boygroups aus England: Take That. Nun also mit großem Pomp wieder zu Fünft. Robbie mag bzw. kann solo nicht mehr, man verträgt sich wieder. Aus den einstigen Bravo-Posterboys ist quasi der erste ernstzunehmende Prototyp einer Mengroup geworden. Gut aussehen tun sie auch um die 40 immer noch, kurzweilige Popmusik machen sie immer noch. Ob sie dabei ernst genommen werden wollen, wissen nur sie selbst. Sollte man aber beim Hören und Betrachten tunlichst vermeiden.

Take That waren stets eine der akzeptabelsten Boygroups, selbst in den 90ern, als man das in der Schule noch nicht zugeben durfte. Aber Gary Barlow hatte schon ein gewisses Talent dazu, gute Popsongs zu schreiben und für so eine Glanztat wie „Never Forget“ würde manch „richtige“ Band einen Mord begehen. Nach dem Williams-losen Comeback 2005 gab’s vor allem großspurigen Schmonz-Britpop mit Hang zur großen Geste. Vollkommen übertrieben, aber nicht ohne einen gewissen Charme. Dazu eine Band, die sich ironisch selbst reflektiert und darüber hinaus gar nicht erst versucht, noch großartig Tanzchoreographien in dem Alter zu testen. Man sieht sich eher als Showact, wer daran zweifelt sollte sich mal die letzten DVDs anschauen. Doch es geht immer noch etwas mehr. Die Robbie-Rechnung geht in jedem Fall auf. 1 Millionen Tickets an einem Tag. Ob man es glaubt oder nicht, aber Take That sind augenblicklich die größte Band im UK. Das Land darbt in Zeiten der großen Rezession nach ein bisschen Geborgenheit, ein wenig Glück in düsteren Zeiten. Dave Cameron kann sich glücklich schätzen, diese Jungs zu haben. Nun also „Progress“, das Comeback auf Zeit. Oder auch länger. Unter Geheimhaltung zusammen mit Starproduzent Stuart Price (Madonna, Killers etc.) entstanden soll es die Zeiten Richtung Zukunft stellen. Das Mutterland des Pop spricht und alle sollen hören. Natürlich ist „Progress“ kein geniales Album, es ist und bleibt Pop in seiner reinsten Form. Konzipiert zum Zwecke der Unterhaltung und des Mitsingens. Price weiß das und lenkt das Ganze dennoch in eine erfreulich kurzweilige Richtung. Denn wenn man den guten Mann engagiert muss man wissen, dass der Weg zwangsläufig über die 80s oder in diesem Fall auch gern mal die 90s führt, denn Price ist eher der Mann für die Tanzflächen, als für die filigranen Phil-Spector-Pop. Und genau das unterscheidet „Progress“ vom letzten Output aller Protagonisten. Price schließt sich dem Trend an, den er vermutlich selber mitzuverschulden hat. Die Frischzellenkur für die alten Boys wird mit Hilfe von Synthesizern, dezenten Disco-Beats und einem noch dezenteren Maß an Coolness und Experimentierfreude bewerkstelligt. Alles andere hätte nicht gepasst, denn irgendwo muss der viel beschworene Fortschritt ja durchaus herkommen.


Natürlich ist „Progress“ kein Meisterwerk und am Ende auch irgendwie berechenbar, wenngleich man etwas wesentlich konventionelleres erwartet hätte. Da schielt „The Flood“ eher auf Nummer-Sicher und Altbewährtes, während der Rest versucht eine gute Balance zwischen Kitsch und Kurzweiligkeit zu halten. Dabei kann auch gern mal aufs Gaspedal getreten werden. Sunnyboy Mark Owen ist dafür zuständig und seine beiden Nummern „S.O.S.“ und „What Do You Want From Me?“ sind dann auch die beiden besten Nummern der Platte geworden. Schau an, Howards Beitrag „Affirmation“ ist dagegen regelrecht peinlich. Ansonsten herrscht die seit dem Comeback anhaltende flache Hierarchie vor. Jogi Löw wäre stolz auf die Briten. Zwei Songs für Owen, einer für Donald und einen für Orange (der feine Flächen-Synthie Hidden-Track). Ist auch okay, ansonsten rückt Gary Barlow noch ein Stückchen mehr von seiner Chefrolle ab. Heimkehrer Robbie Williams wird nämlich erstaunlich viel Platz eingeräumt, Barlow darf nur mal gelegentlich ran, wie z.B. beim Schlusssong „Eight Letters“. Ansonsten spielt Robbie wieder den guten alten Suppenkasper und bei „The Flood“ stimmt ja auch alles. Die anderen Songs sind so lala. „Underground Machine“ ist irgendwie blöd und „Wait“ wartet immerhin mit nettem Harmoniegesang auf. Der Weg geht also ein wenig zurück zur Plastik, zumindest was die Instrumentierung angeht. Ansonsten wird mit Ausnahme des ersten und letzten Songs die Trennung und Reunion der Band inhaltlich nur gelegentlich aufgegriffen. Und wenn dann auch am besten in bedeutungsschwangere Texte über Universen, Sterne und Niemandsländer. Ach und die Regierung wird auch angesprochen, und Kinder… und unsere Welt. Irgendwo zwischen Witz und Weltschmerz, aber irgendwie am Ende doch blah. Der Revolutionsgedanke ist natürlich nicht zu verachten, aber irgendwie nimmt man es den Jungs auch nicht ab. Muss ja auch nicht sein, das ist ja nicht ihr Job. Take That sollen singen, gut aussehen, unterhalten und ihren Hörern und Ticketkäufern eine vergnügliche Zeit bescherren. Die dürften mit „Progress“ vollends zufrieden sein. Für richtige Musikliebhaber ist das dann auf Dauer dennoch eine zu furchtbar verwaschene Suppe, aber wenn man sich andere „Sternstunden“ der aktuellen Mainstream-Poplandschaft anschaut, dann stellen diese fünf Herren gerade eines der geringsten Ärgernisse da. So gesehen doch ganz nett, dass sie wieder da sind.

Und hier ein kleines Video vom TV-Comeback gestern...

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