Montag, 14. Februar 2011

The Social Network Blues

Gefühl durch Reduktion? Soul für die Generation Twitter? Heilsbringer für alle Hipster? Pop für die Postmoderne? Was ist dran an der Musik von James Blake? Und wo wir gerade dabei sind, wie steht’s mit Wunderkind Jamie XX aus? Zwei neue Alben, die polarisieren und die, trotz ihrer Unterschiede Einiges vereint. Ein Interpretationsversuch…

Sobald etwas über das Verfallsdatum ist, schmeißt man es gern mal weg. In der Kunst schreibt man gern mal „Post“ davor. Eine musikalische Strömung stirbt nicht einfach, sie wird einfach mal „Post“. Warum ich überhaupt darauf komme? Im Zuge der Erstvorstellung des neuen Outputs des Londoners James Blake, postete (wuahaha) hier auf dem Blog jemand was von Post-Dubstep und wurde davon vom Kollegen FallOnDeafEars belächelt. Ob das gerechtfertigt ist, sollte jeder für sich selbst entscheiden. Nur weil der Postmann zweimal klingelt, muss man ja nicht gleich öffnen. Ich persönlich hab schon Probleme mit der eigentlichen Definition von Dubstep, möchte mich damit auch nicht aufhalten. Ein Bekannter beschrieb das mal als langsamen „Drum’n Bass“. Trifft’s doch ganz gut. In den letzten Jahren hat sich das Genre musikalisch etabliert und differenziert. Kommerzielles Kirmesgeballer von Bassnectar oder Skream trifft auf den düsteren, minimalistischen Ast, wie Burial oder Deadboy. Alles sehr fein, doch nun zeigen neue Acts, wie eben Herr Blake oder Mount Kimbie, dass es auch noch reduzierterer gehen kann. Wie man das nennen mag, kann jeder halten wie er will. Doch die Reduzierung hat System. Kollege Jamie XX hat darin auch Erfahrung, immerhin gewann er mit seiner Band The XX in den letzten zwei Jahren fast alles an Preisen und Herzen, was es so geht. Sein systematisches Beat-Getrigger und Sampling, gepaart mit der sensiblen musikalischen Zerbrechlichkeit seiner Mitstreiter sorgte für einen relativ frischen und unverkennbaren Sound, der so wirkte, als treffe die Vergangenheit auf die Zukunft. Warum auch immer. Dies ist das Motto, nachdem Jamie Smith, so der bürgerliche Name, nun auch bei seinem neusten Projekt vorgeht. Wer braucht schon Urlaub? In diesem Fall hat sich Mr. XX das letztjährige „I’m New Here“-Album der amerikanischen Soul- und Blueslegende Gil-Scott Heron, immerhin auch schon über 60, durch den Mixwolf gejagt und daraus einen ganz eigenen Klang kreiert. Blake hingegen samplet primär sich selbst. Hat er früher auch schon gern. Aber über die üblichen Vocoder-Spielereien hinaus, hat er darüber seine Stimme entdeckt und spielt sich und seine Songs dadurch in den Vordergrund.

JamesBlakeDie Stimme wird zum Dreh- und Angelpunkt, bei beiden Alben, wenngleich Fokus und Umsetzung variieren. James Blake zeigt auf seinem selbstbetitelten Debüt vollen Einsatz, sinkt mit kraft- und vor allem gefühlvoller Stimme von Liebe und Schmerz und garniert dies immer wieder mit kleinen Spielereien. Minimalistische Beats treffen auf ein durchweg gern mal klassisch agierendes Piano und diverse Vocoder- und Auto-Tune-Spielereien, dass selbst Will.I.Am schwindelig werden könnte. So pitcht sich Blake gern mal zu seinem eigenen Backing-Vokalisten hoch, zerstückelt sie Stimmfragmente auf unterschiedliche Art und Weise und fügt so den im Herzen recht klassischen Balladen eine gewisse experimentelle und dezent verstörende Note hinzu. Seine Stimme agiert dabei als auditiver Anker, der das Gefühl in einer differenzierten Musikalität widerspiegelt. Jamie XX macht hingegen mit Gil-Scott Heron scheinbar was er will und kann. Das Album „We’re New Here“ ist deutlich weniger „Post“ und wesentlich mehr Dubstep, als Kollege Blake. Breakbeats, mal schnell, mal langsamer, jede Menge Samples, seien es verstümmelte Rave-Flächen oder gepitchte Vocals. Jamie-xxAn allen Ecken und Enden passiert irgendwas, wenngleich eigentlich gar nicht so viel passiert. Paradoxerweise lebt nämlich auch dieses Album ein wenig von der Reduktion. Und von der markanten Stimme seines Sängers. Wenngleich hier nicht der alte Soul-Man das Zentrum des Geschehens ist, sondern häufig zum Sample an sich verkommt und sich Smiths Spielereien unterordnen muss. Ist ja auch nicht verwunderlich, den streng genommen handelt es sich hier ja um eine Remixplatte. Doch sein rauchiges, erfahrenes Organ ist das Element, das diesem Album tatsächlich bei allem Sampling auch etwas Seele gibt. Herons Blues repräsentiert eine gewisse Reife und Authentizität, welche sich eigentlich ein wenig mit den urbanen Beats des Jung-Produzenten beißen müsste, sich aber am Ende doch ganz ordentlich fügt. Vergangenheit trifft, na ja, sagen wir mal die Gegenwart zumindest. Die Kombination eines klassischen Soulgesangs mit hippen Soundspielereien mag sicher nicht sonderlich innovativ sein, bleibt aber auch im x-ten Update gewissermaßen reizvoll.

Insofern man das so sehen will. Natürlich kann man beiden Alben attestieren, dass sie irgendwie langweilig klingen, gerade bei James Blake scheint trotz kollektiver Feuilleton-Masturbation sich ja der ein oder andere Geist an dem extremen Minimalismus der Platte zu stören. Und selbst ich muss eingestehen, dass dieser absolute Flash, den man durchaus haben kann, wenn man sich dieses Album das erste Mal bewusst anhört, bei jedem weiteren Hören nie wieder in dieser Form erreicht wurde. Entweder man liebt diesen Mann für seinen urbanen Soul oder man hasst ihn für sein monotones Gejaule. Ich persönlich finde Blakes Album hoch reizvoll. Jamie XX Neuinterpretation von Gil-Scott Heron auch, wenngleich die Ansätze halt unterschiedlich sind. Klar, ist das keine große Soul- und Bluesmusik mehr, wie es sie vor 50 Jahren gab, aber jede Generation hat ihren eigenen Soundtrack. Das Jahr 1980 hatte Joy Division, das Jahr 2010 hatte The XX. Der Aufschrei nach dieser Musik wäre auch mit Sicherheit bei weitem nicht so groß, wenn die Nachfrage nicht vorhanden wäre. Nachfrage nach ein wenig mehr Seele und Gefühl, auch innerhalb des urbanen Hype-Kosmos. Aber ich möchte jetzt nicht noch die Abteilung „Gesellschaftliche Entwicklung und ihre Repräsentation in zeitgenössischer Musik“ betreten. Diese Abhandlung können andere verfassen. Ich verbleibe bei der Musik. Und die bekommt eine uneingeschränkte Empfehlung ausgesprochen.

Stream ... James Blake "James Blake" (bereits erschienen)
Auf der Seite des Musikexpresses kostenlos anhören

Stream ... Gil-Scott Heron & Jamie XX "We're New Here" (VÖ: 18.02.)
Auf der Seite des Guardian kostenlos anhören

nobono

currently resting in peace. 2007 - 2011

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelles ...

Protest!!
Oh, menno!wie schade.ich befürchte, eine n21-protestwelle...
stephox (Gast) - 29. Aug, 13:17
A Start Has An End
Unser Blog verzieht sich aus der Blogosphäre. Ein paar...
rhododendron - 22. Jul, 16:45
stimmt!
ich stimme dir zu 100% zu. langweilig war das gestern,...
Astrid (Gast) - 19. Jul, 17:19
Götterdämmerung
Für ein einzelnes Gastspiel beehrt der Altmeister der...
rhododendron - 19. Jul, 13:48
Chillaxing
PBMR präsentiert sein 'finales' Mixtape ... relaxte...
rhododendron - 16. Jul, 14:26
Danke
Hört man immer wieder gern. Besonders schön, wenn's...
rhododendron - 8. Jul, 13:49
blog
ich verfolge hin und wieder deinen Blog und wollte...
ZoneZero (Gast) - 6. Jul, 18:04
Kurz und Bündig - 07/2011
Once more with feeling... ein verliebter Traumtänzer,...
rhododendron - 1. Jul, 15:55

Durchforsten ...

 

Besucherzahl seit März 2010 ...

Status

Existent seit 6610 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 29. Aug, 13:17

Credits


Ausgehen
Diskurs
Listen
Mixtape
Mottenkiste
Plattenteller
Ranking
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren