Mittwoch, 18. Juli 2007

Rhythm is a Dancer

Von Neonstäben bis Eurodisco ... Ein Samstag auf dem MELT! Festival

Sommer, Sonne, Saubillig. Zumindest für mich. Passend zum Comeback des Sommers hab ich ein günstiges Tagesticket fürs diesjährige MELT! - Festival erstehen können. Und dass das ganze Unternehmen angesichts eines erstklassigen Samstags-Line-Ups in Sachen Preis/Leistungs-Verhältnis sehr angenehm werden sollte, war meine positive Befürchtung. Ach, und endlich hat sich das auch mal so entwickelt.
Die Temperaturen waren, ich würde fast sagen, festivaltypisch, wie in den Vorjahren solide über der 30°-Marke. Aber wen kümmerts? Glastonbury hat seinen Schlamm, das MELT! Seine Hitze. Und immerhin bietet die feine Metallstadt Ferropolis auch noch nen 1a Baggersee. Sollte eigentlich Pflichtprogramm für jedes Festival werden. Ein Sprung in das, wirklich eiskalte (es war ja bisher nicht wirklich Sommer) Nass zählte dann auch zu meinen ersten Aktivitäten. Gegen 5 wurde dann langsam (nach leider einigen Vodka zuviel, wie ich in der Hitze merkte) das Gelände aufgesucht. Und der Zeitplan war straff. Darauf fast ein Dutzend Bands, ohne eine wirkliche Pause zwischendrin, die ich unbedingt erleben wollte.
Die Shout Out Louds entpupten sich gegen halb 7 dann als idealer Tagesopener. Eine durchweg sympathische Band, bei der ich eigentlich gedacht hätte, ihr Indie-Bekanntheitsgrad würde ausreichen, um den Platz vor der Mainstage ordentlich zu füllen. Na ja, es ging dann schon. Während des Sets gingen die Leute, na, sagen wir ma bescheiden ab, allerdings waren der Applaus zwischen Hits wie „Please, Please, Please“ oder „Shut your Eyes“ und die vergeblichen Rufe nach einer „Zugabe“ dann schon lauter. Brachte nix: Band musste gehen. Die Hitze wurde leider nur geringfügig weniger. Es folgten The Rifles, die ich bereits von 2 Solokonzerten kannte. Ich sag ma, alter Hut. Mindestens so alt, wie der Hut des Gitarristen, den er irgendwie immer aufhat. Die Rifles eröffneten mit einem neuen Song, der toll klang und spielten dann im Laufe des Sets noch einen zweiten neuen, der berechtigte Hoffnung auf das Zweitwerk machte, welches hoffentlich noch dieses Jahr erscheint. Dazwischen gab’s natürlich alle relevanten Hits vom Debüt „No Love Lost“. Die funktionieren immer und immer wieder... auch diesen Sommer. Leider tat es die Technik irgendwie nicht. Zuerst streikte die Gitarre, dann lösten sich Teile des Schlagzeugs. Der Band schien’s egal zu sein. Die tranken ihr Becks und der Gitarrist (Hut war wieder auf) lallte im schlimmsten Akzentenglisch ins Mikro. Egal, trotzdem Grundsympathen!
Dann kam endlich mal Elektronik im Spiel. Dafür liebe ich ja das MELT! Indierock hin und her, aber da gibt’s auch nur ne handvoll guter Bands. Und gerade der Elektronikbereich bietet in Zeiten von New-Rave da ein paar feine neue Klänge. Es sei, quasi als Exkurs, anzumerken, dass sich der Neon/Retro/Bunt-Trend dieses Jahr auch auf diesem Festival durchsetzte. Das MELT! ist ja eh oft auch gern mal Modenschau und Stylecheck in einem. Aber mir sind diese Sylo-Leute mitunter sympathischer als die pöbelnden Menschen mit Korn-Shirts auf großen Rock-Festivals. Hier hat alles etwas mehr Liebe, ist etwas familiärer und hat etwas mehr Stil.
Letzteren hatten dann auch Hot Chip, die für mich die Überraschung des Samstags darstellten. Sicher, die grooven schon auf Platte ganz gut, aber live bringen die Herren mit ihrem halben Dutzend Synthies die Menschen aber ordentlich zum springen. Damit hab ich nicht gerechnet. Also, nicht in der Form. Große Disco-Momente, jede Menge Energie und große Songs wurden da geboten. Meine Fresse! Und wenn man beim Theme „Rocken-trotz-Synthies“ ist, dann kommt auch nicht an Goose vorbei, die anschließend gleich auf der kleineren Bühne aufspielten. Ein Freund von mir warnte mich vor, dass die live sehr abgehen. Und was musste ich feststellen? Er hat dezent untertrieben!
Was für ein Hexenkessel! Als die belgischen Elektrorocker auf die Bühne kamen, gab’s beim ersten Song (also nach dem Instrumental-Opener) „Bring it on“ kein Halten mehr. Obwohl die Sonne sich schon verabschiedete entwickelten sich im vorderen Bereich der Gemini Stage Temperature um die gefühlten 50°. Und wie es da abging! Das große Plus von Goose, ihre einfachstrukturierten, druckvollen Songs, sind dann aber auch gleichzeitig irgendwie der Grund, warum sie in meinen Augen nur „sehr gut“ und nicht „super“ sind. Stellenweise wirkte ihr Set so, als hätten sie nur dieses eine Songmuster drauf, dass sie immer wieder mit all den gleichen Sounds unterschiedlich verwerteten. Gegen Ende hin verlies mich nicht nur die Puste, sondern der Sound wurde auch leicht monoton und austauschbar. Dennoch natürlich eine Klasse für sich.

Traditioneller gerockt wurde anschließend auf der Mainstage, wo sich der Black Rebel Motorcycle Club die Ehre gab. Die Band sieht so aus, wie sie heißt und sie spielt auch die Musik, die eine Band spielen sollte, wenn sie so heißt. Richtig feisten, oft blusigen Garagen-Rock. Doch das scheint keine Show zu sein... die Typen sind einfach wirklich mal so cool. Da geht ja mal nix drüber. Nachdem ich einem ordentlichen Reigen an Hits (inkl. Dem famosen „Whatever happened to my Rock’n Roll?“) gelauscht hatte, verlies ich die Band etwas eher um mir auf der Gemini Stage mal eine kleine Bewegungspause zu gönnen.
Na ja, zumindest dachte ich das. Trentemøller sollte spielen. Sogar mit Band. Und eigentlich klingt sein famoses Album „The Last Resort“ ja eher chillig. Doch nix da. Die Songs kamen live extrem druckvoll rüber, so dass man durchaus auch mal richtig tanzen konnte. Dazu gab es ein Publikum, was diesen Mann feierte, als sei der Messias in Form eines DJs zurückgekehrt. Und so ähnlich klang diese Musik. Manchmal sphärisch, manchmal einfach nur druckvolle Elektronik mit ordentlich wummernden Bässen. Dazu gab’s auch noch feine, wenn auch manchmal strange Visuals. Aber ist egal... am Ende bleibt eine großartige audiovisuelle Show hängen.
Dann war es viertel 2 nachts und man wünschte sich eine Pause. Gab’s nicht. Kurz was getrunken und am ins Zelt, um dort The Horrors zu sehen. Einfach, um sie mal gesehen zu haben. Noch schlimmer als beim schwarzen Motorradclub: diese Band sah wirklich so aus, wie sie hieß. Der Gitarrist hatte eine Frisur, die selbst Robert Smith und Bill von Tokio Hotel neidisch machen würde. Und der merkwürdig zappelnde Keyboarder sah auch aus, als sei er grad aus seinem Sarg geklettert. Vom Sänger möchte ich mal gar nicht anfangen. Der rannte zu dem wilden psychodelischen Gitarren-Geschrammel quer über die Bühne, steckte irgendwelche Sachen in Brand und erklomm das Gerüst des Getränkestandes. Schräge Show mit hohem Unterhaltungswert. An gleicher Stelle sollten dann ein paar Minuten später Shitdisco folgen. Die Mit-Zugpferde der New-Rave-Bewegung wurden dann auch von einigen Menschen mit leuchtenden Neonstäben begrüßt. Dann wurde munter und kunterbunt losgeschrammelt. Sooo viel Rave steckte da auch nicht drin. Würde sagen, eher sehr beatlastiger Britrock mit einer Spur Elektro. Dem Old Rave wurde dann auch noch Tribut gezeugt... mit einer Coverversion von The Prodigy’s „No Good“ aus dem Jahre ’94. Sehr gelungen... da kam Stimmung auch! Ansonsten natürlich auch, wobei mir da auch die musikalische Abwechslung etwas fehlte. Oder ich wurde einfach leicht müde gegen 3 Uhr in der früh. Ja, man ist ja auch keine 18 mehr. Aber dennoch sehr nett, die mal gesehen zu haben.
Ich näherte mich dann dem heimlichen Höhepunkt und ging vorbei am sichtlich rockenden Jan Delay hin zur DJ-Stage wo ich hoffnungsvoll auf das DJ-Set von Simian Mobile Disco, meinem Leiblings-Elektro-Ding des Jahres 2007 wartete. Das lies leider etwas auf sich warten. Der DJ davor (Name wohl zurrecht entfallen) weigerte sich mit seinem nicht so prickelnden Set aufzuhören. Erst als wohl dann so ca. 3 Personen aus der Organisationsabteilung um ihn herumstanden und somit wohl psychologischen Druck ausübten, konnte er gehen und James Ford und James Shaw konnten die Bühne betreten. Einen Raunen ging durch die Menge. Und natürlich wurde das Set mit elektronischem Piepen und Zirpen eröffnet. Erst langsam baute sich daraus der Opener „Sleep Deprivation“ auf, dessen ungeheurer Spannungsaufbau sich natürlich auch auf das Publikum übertrug. Dieses dynamische Duo rockte ziemlich laut und wirbelte dabei immer um ihr seltsames Pult herum und drückte Knöpfe, zog Stecker raus und steckte sie woanders wieder ran... was auch immer sie taten, sie erzeugten damit sehr feine groovende Töne. Zwischendurch waren natürlich Hits á la „It’s the Beat“, „Tits & Acid“ und natürlich das kongeniale „Hustler“ Plficht. Clubmusik at it’s best! Nur leider auch das nicht vollzählig, weil wir ja weiter zum Festivalfinale mussten.
Das bestritten die Könige des Techno/Gaga/Hip Hop und die einzigste Band die wohl wirklich jede Party rockt... Wer? Deichkind? Toll, woher weißt du das? Hat dir vielleicht jemand Bescheid gesagt? Anyway. Dank diverser Planverschiebungen war es schon viertel 5 am Sonntag morgen und die Sonne ging langsam auf. Bevor es losgehen konnte, wurden wir alle noch auf Zelluloid gebannt, denn Fraktus traten auf. Dabei handelt es sich um eine fiktive Band aus einem geplanten Film mit Christian Ulmen, Rocko Schamoni und Heinz Strunk. Die letzteren 2 standen dann auch getarnt als Elektro-Pop-Duo auf der Bühne und performten mehr als lahme Musik. Aber die Performance inkl. Ankündigung von Jan Delay wurde für den Film aufgenommen. Witzig? Na ja, eher verwirrend. Danach kamen Deichkind, die ihr übliches (muss man ja mittlerweile so sagen) Programm abfuhren. Nachdem fulminanten Auftritt 2006 wollte man das dieses Jahr noch toppen, aber so was geht ja eh meist nach hinten los. Also gab’s die üblichen Pyramiden/Müllsack-Kostüme, viel Verrücktes auf der Bühne (Trampolin, Fahrrad, Männer in Fellkostümen, die „Zitze“... fragt mich nicht) und die hämmernden Beats. Alles einfach nur Gaga! Muss man nicht mögen, muss man aber mal gesehen haben. Sonst glaubt man nicht, dass die Schlauchboote inkl. Kapitän ins Publikum werfen oder ein ganzes Trampolin, welches von der Crowd getragen wird und auf dem jemand herumspringt (und auch sehr fein dann nach unten fliegt). Zwischendurch gab’s nochmal ne Unterbrechung zwecks Fraktus-Dreh. Diesmal sollte die Band vom Publikum ausgebuht und mit Bechern beworfen werden. Stand so im Drehbuch. Aber irgendwie wirkte es so, als ob diese Regieanweisung nicht zwingend notwendig war. Stimmungsbremse! Danach waren Deichkind immerhin so schlau, ihre Allzweckwaffe „Remmidemmi“ auszupacken, bei der die Post dann ordentlich abging. Wobei man sagen muss... gegen 5 Uhr morgens am 2. Tag des Festivals sind halt viele einfach nicht mehr fit genug. Deichkind merkten das auch, aber wie will man Stimmung machen, bei Menschen, die ein Wochenende durchgetanzt haben und bei einem Auftritt, der in vollster Helligkeit stattfand? Hätte die Band um 1 oder 2 Uhr nachts gespielt, wäre der Stimmungsfaktor sicherlich größer gewesen. Na ja, egal... es ging schon, machte Laune und auch beim 2. Mal „Remmidemmi“ am Ende waren die Leute noch bereit lautstark „Habt ihr nix zu fressen hier? Ich will Pizza“ zu brüllen. Und was kam dann? Als die letzten Takte verklungen? Richtig! „Rhythm is a Dancer, it's a soul's companion, you can feel it everywhere”! Deichkind haben mal spontan die Eurodisco-Dinosaurier von Snap! mitgebracht. Und das funktionierte auch bei diesem Disco-Megaburner von 1992 noch ganz gut. Da dachte man sich sicher, „na gut, die singen mal ein Lied als Gag“. Aber nein... die Sängerin kündigte hinterher gleichmal ein Medley alter Snap! Songs an. Also, Spass hin oder her, aber das war wohl für viele Melt!-Besucher dann kein Grund mehr länger zu verweilen. Denn sooo gut war Eurodisco ja schließlich auch nicht. Und so setzte nach dem ersten Song ein regelrechter Exodus ein, dem wir uns dann, so gern ich Snap! auch mal mit 10 gehört hab, anschlossen. Und so ertönte „Do you see the Light?“ von der Mainstage, als ich mich noch einmal umdrehte und die Sonne hinter den wunderschönen Stahlbaggern aufgehen sah. Ein gar wunderschöner Anblick und so abstrus es klingen mag, auch irgendwie ein schöner Abschluss für dieses Festival, welches auch zum 3. Mal in Folge mein Lieblingsfestival bleibt. Warum? Wegen der tollen Location, dem immer wieder feinen Line-Up, den durchaus erträglichen Menschen und einfach der ganzen Atmosphäre. Und selbst wenn sie nächstes Jahr U96 oder Scooter auftreten lassen... ich werd sicher wieder vor Ort sein!


YouTube sei Dank... diverse Bootleg-Aufnahmen zur Wiedergabe der Stimmung:

Noch einmal nen One Night Stand: The Rifles

Gibt nur ansatzweise die Stimmung wieder: verwackelte Aufnahmen von Hot Chip

Der Beginn von Goose... ca. aus meiner Perspektive

Huldigt eurem neuen verdammten Gott: Eindrücke von Trentemøller

Neon-Alarm: Shitdisco am frühen Sonntag im Zelt

Deichkind machen noch einmal Remmidemmi

Ja, das musste sein... Snap! Bitten zum Eurotanz

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