Alles beim Alten
Ein Kult geht um im Land... Die kleine Wiederauferstehung des Dave Gahan. Solider Neustart der Depeche Mode Welttournee im Leipziger Zentralstadion. Ein Augenzeugenbericht...
Welch Ironie des Schicksals. Das Depeche Mode Konzert im Leipziger Zentralstadion am Montag war ursprünglich ein Zusatzkonzert. Also für alle die gedacht, welche nicht schnell genug mit dem Ticketkauf für das Konzert am 07.06 waren. Der Vorverkauf verlief schleppend. Es drohte ein halbvolles Stadion und verzweifelte Angebote á la „Kaufen sie ein Ticket für die Show und sie bekommen das neue Album gratis dazu“ machten die Runde. Doch dann kam der Tag, an dem Frontmann Dave Gahan was Falsches zum Mittag gegessen hat und alles war anders…. Lange Story, kurze Zusammenfassung: Die Magenverstimmung bringt einen Tumor zum Vorschein, welcher aber rechtzeitig und sauber entfernt wird. Die Tour, gerade erst begonnen, wird unterbrochen… die Stimmung der Fans durchläuft eine Achterbahnfahrt nach der anderen. Und so wurde aus dem einstigen halbvollen Zusatzkonzert über Nacht der fulminante Neustart der Welttournee. Jene, welche die Karten schon vorher hatten, dürften sich ins Fäustchen lachen. Die Letzten werden die Ersten sein.
Nach einem erfolgreichen Umtausch meiner Vortagstickets fand ich mich dann so kurz nach halb 5 im „Front Of Stage“-Bereich (der irgendwie auch nur wirkte, als hätte man das Stadion in zwei Hälften geteilt wieder), um sich schon mal mit all den anderen Tausend die besten Plätze zu sichern. Dann hieß es warten und zusehen, wie sich das Leipziger Zentralstadion langsam füllte. Trotz finanzieller Pleite, schöne Location. Zur Einstimmung gab’s auch zwei Vorgruppen. Den Anfang machte Anthony Gonzalez mit seinem Projekt M83 und zwei Mitmusikern. Diese präsentierten Breitband-Elektropop, der live auch erstaunlich gut rüber kam. Der Rolle als Anheizer war man sich durchaus bewusst, weshalb man auf die wunderbar kitschigen Balladen des aktuellen Albums „Saturdays=Youth“, zugunsten einiger stampfender Elektrobretter verzichtete. Klang geil, war super, aber dem Publikum zu großen Teilen egal. Als Vorgruppe hat man es bei Depeche Mode Fans sowieso schwer, weil diese eher getreu dem Motto „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“ agieren. Neue Musik? Pff? Neue Bands? Egal. Ein Depeche Mode Konzert hat nur Depeche Mode zu gehören! Respekt an die, die es trotzdem versuchen. Polarkreis 18 beispielsweise, welche sich redlich bemühten mit Intelligenz, Musikalität und Showkonzept gegen ein zu großen Teile desinteressiertes Publikum anzuspielen. Dass die Band etwas drauf hat, dürfte jedem klar sein, der sie mal live gesehen hat. Endlich eine deutsche Kombo von internationalem Format und Felix Räuber hatte schon mal die Chancen bei „Allein Allein“ große Stadiongesten auszutesten. Es sei ihnen von Herzen gegönnt, die werden ihren Weg gehen und am Ende war der Applaus gar nicht mal so leise. Sowieso ist das Konzertpublikum bei DM Konzerten ja ein bunter Haufen seltsamer Gestalten. Vom bierbäuchigen Familienvater, über die immer-wieder-gleich schwarzen Dark-Wave-Gestalten, bis hin zur Hausfrau oder Menschen mit akuter Türsteher-Bodybuilderattitüde, welchen man lieber nicht allein im Dunkeln begegnen will. Fast jede Form von Mensch findet man hier, ob man das gut findet oder nicht. Das stimmt schon mit der Music und den Masses. Da wird viel geraucht, noch mehr getrunken und über die gute alte Zeit geredet, als iTunes-Bundles noch 12inches hießen und Dave Gahan noch enge weiße Hosen und dicke Lederjacken trug. Die fehlen heut im Stadion natürlich auch nicht. Versteht sich, trotz sommerlicher Temperaturen. Depeche Mode Gigs sind in Deutschland immer noch ein Happening. Volksfest of the Universe, Hauptsache die Stimmungskracher kommen. Und sie kamen. Mitsamt Band.
Kurz nach 21 Uhr hatte das Warten ein Ende. Für die Fans und für die Band. Endlich rollte der Synthiepopzug weiter, die Stimmung im Stadion ist bestens, als sich die Analogsynthie-Türme von „In Chains“ aufbauen. Als Dave Gahan dann im Jacket die Bühne betritt ist dann sofort wieder Alles beim Alten, nur halt etwas älter. Gahan’s 3-Tagebart bekommt seine grauen Stellen, Gore’s Gesicht lässt auf den Großleinwänden auch die ein oder andere Furche erkennen und Fletch’s Plautze lässt sich sowieso nicht mehr kaschieren. Hier altert eine Band in Würde und mit ihren Fans. Aber heut Abend ist das vergessen, denn heut ist noch mal „Party like it’s 1988.“ Vorerst wird man aber von der Band in die unromantische Gegenwart gerissen, denn nach dem Opener gibt’s erstmal „Wrong“ und „Hole To Feed“ vom neuen, leider an diesem Abend etwas unterrepräsentierten Album „Sounds Of The Universe“. Danach ist aber auch Schluss mit dem neuen Kram, denn dann gibt’s die Songs, die das Volk hören will. Also nicht, alle, weil mir persönlich entlocken die bereits tausend Mal runtergedudelten „Walking In My Shoes“, „Policy Of Truth“ oder „I Feel You“ nur noch ein müdes Lächeln. Ja, gute Songs, aber … pff. Dieses Gefühl von emotionaler Gleichgültigkeit beschlich mich dann im weiteren Verlauf des Abends noch öfters. Das liegt nicht an der Band. Die hatte nach anfänglicher Unsicherheit viel Spass, besonders Stehaufmännchen Gahan genoss sein eigenes Comeback bestens und grinste jedes Honigkuchenpferd an die Wand. Das täuscht nicht darüber hinweg, dass sich die Überraschungsarmut, an welcher Depeche Mode Shows seit Jahren leiden im Jahr 2009 auf ein hohes Level begeben hat. Das fängt bei der Setlist an, die seit Jahren auf Nummer Sicher geht, geht bei den Songs weiter, die seit ca. 15 Jahren in den immer gleichen Versionen gespielt werden und endet beim Showablauf. Man weiß, wo Gahan sich die Jacke auszieht, man kennt die Sprüche („Thank You“, „Yeah“, „That’s Right“, „Let Me See Those Hands!“, „Mardddin“), die Bewegungsabläufe und an welcher Stelle Mr. Gore dem Publikum vorgestellt wird. Alles schön, nett, und für Leute, die das erstmals sehen, sicher interessant, aber ansonsten einfach nur langweilig. Depeche Mode hat live der Mut verlassen, Sachen auszuprobieren und mit den Erwartungen des Publikums zu spielen. Und man kann ihnen nicht mal einen Vorwurf machen. Sie haben Spass, das Publikum hat Spass, aber letztendlich ist es ne Routine. Berufsroutine vielleicht. Und wenn man das so sieht, dann haben Depeche Mode in Leipzig natürlich sauber abgeliefert. Die Songs waren da, das Publikum dabei und „Enjoy The Silence“ machen selbst 1000 schlechte Coverversionen, Formatradioeinsätze oder Dorfdiskonächte kaputt. Dazu ist der Song zu gut. Doch dann gibt’s noch diese raren, überraschenden Momente. Wenn Martin Gore zur Piano-Begleitung „A Question Of Lust“ intoniert, dann hat das etwas Erhabenes und wenn Dave mit dem Publikum noch ne spontane Extrarunde beim Einsingen von „Peace“ dreht und dabei lachen muss, dann sind das so kleine, feine Momente, welche aus der Routine herausragen. Ansonsten alles beim alten, falls ich’s nicht schon erwähnt habe. Die Fans gröhlen, die Arme wedeln bei „Never Let Me Down Again“, Gore’s Anzug glitzert, Fletch tut immer noch so, als wäre sein Mikro wirklich eingesteckt und Dave entledigt sich dann irgendwann auch endlich seiner Weste. Ob dass seine Ärzte gut geheißen haben? „Master And Servant“ wird wieder ausgegraben. So viel Sex und Sado Maso nimmt man den gestandenen Familienvätern zwar nicht mehr ab, aber: Spass machts trotzdem. Und mit dem Anton-Corbijn-Soft-Fußfetischporno, der im Hintergrund zu „Strangelove“ läuft, haben auch die Familienväter im Publikum was zu glotzen. Und gerade wenn man denkt, die Las Vegas Show von Depeche Mode wird klischee-mäßig durchgezogen, schüttelt die Band noch ein goldrichtiges Ass aus dem Ärmel, nämlich die Entscheidung, das Konzert ruhig ausklingen zu lassen. Gore und Gahan stimmen zu reduziertem Soundbild das traumhafte „Waiting For The Night“ von dem unkaputtbaren Jahrhundertwerk „Violator“ an. Für 3min herrscht ausnahmsweise mal wirklich Stille im Stadion. Damit ist alles gesagt. Leipzig jubelt, die Band hat ihre Feuertaufe bestanden und Dave Gahan ist nicht umgekippt. Ein Mix aus Nostalgie, Schweiß und verschüttetem Bier liegt in der Luft. Die Lichter gehen an, die Massen gehen nach hause oder tanzen auf den Aftershow-Parties zu all den Hits, die sie grade gehört oder lange nicht mehr gehört haben. Everything’s alright tonight… once again.
Und ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, es wäre alles schlecht im Hause DM. Im Gegenteil… das neue Album ist toll und beweist, dass die Band noch kreativ sein kann, wenn auch heutzutage in anderen Bereichen, als auf der Bühne. Und so sehr ich mich an diesem Montag Abend das ein oder andere Mal über die Setlist oder betrunkene Wave-Popper geärgert habe… heute sitz ich hier, blick zurück und denke, „Mensch, war doch irgendwie wieder cool.“ Und ich werde auch das nächste Mal dabei sein, wenn der Show-Dinosaurier Depeche Mode in der Stadt ist. Wenn man diese Band einmal liebt, dann wird man sie nicht mehr los. Und genau deshalb sind all diese Menschen da gewesen und deshalb kommen sie auch immer wieder zurück. Es wird zwar nie wieder so sein, wie früher, selbst bei nem Mitzwanziger, wie mir. Aber wen interessiert das eigentlich noch? Kritik an Depeche Mode ist nicht mehr möglich und auch nicht angebracht. Die Einzigen, die sie aufhalten können, sind wirklich nur sie selber. Und da das nicht der Fall ist, sehen wir uns wohl ganz routiniert auch im nächsten Jahrzehnt wieder. Mit mehr Falten, mehr grauen Haaren und mehr Hits.
Setlist /// 01 In Chains 02 Wrong 03 Hole To Feed 04 Walking In My Shoes 05 It´s No Good 06 A Question Of Time 07 Precious 08 Fly On The Windscreen 09 Jezebel 10 A Question Of Lust 11 Come Back 12 Peace 13 In Your Room 14 I Feel You 15 Policy of Thruth 16 Enjoy the Silence 17 Never Let Me Down Again 18 Stripped 19 Master And Servant 20 Strangelove 21 Personal Jesus 22 Waiting For The Night
Welch Ironie des Schicksals. Das Depeche Mode Konzert im Leipziger Zentralstadion am Montag war ursprünglich ein Zusatzkonzert. Also für alle die gedacht, welche nicht schnell genug mit dem Ticketkauf für das Konzert am 07.06 waren. Der Vorverkauf verlief schleppend. Es drohte ein halbvolles Stadion und verzweifelte Angebote á la „Kaufen sie ein Ticket für die Show und sie bekommen das neue Album gratis dazu“ machten die Runde. Doch dann kam der Tag, an dem Frontmann Dave Gahan was Falsches zum Mittag gegessen hat und alles war anders…. Lange Story, kurze Zusammenfassung: Die Magenverstimmung bringt einen Tumor zum Vorschein, welcher aber rechtzeitig und sauber entfernt wird. Die Tour, gerade erst begonnen, wird unterbrochen… die Stimmung der Fans durchläuft eine Achterbahnfahrt nach der anderen. Und so wurde aus dem einstigen halbvollen Zusatzkonzert über Nacht der fulminante Neustart der Welttournee. Jene, welche die Karten schon vorher hatten, dürften sich ins Fäustchen lachen. Die Letzten werden die Ersten sein.
Nach einem erfolgreichen Umtausch meiner Vortagstickets fand ich mich dann so kurz nach halb 5 im „Front Of Stage“-Bereich (der irgendwie auch nur wirkte, als hätte man das Stadion in zwei Hälften geteilt wieder), um sich schon mal mit all den anderen Tausend die besten Plätze zu sichern. Dann hieß es warten und zusehen, wie sich das Leipziger Zentralstadion langsam füllte. Trotz finanzieller Pleite, schöne Location. Zur Einstimmung gab’s auch zwei Vorgruppen. Den Anfang machte Anthony Gonzalez mit seinem Projekt M83 und zwei Mitmusikern. Diese präsentierten Breitband-Elektropop, der live auch erstaunlich gut rüber kam. Der Rolle als Anheizer war man sich durchaus bewusst, weshalb man auf die wunderbar kitschigen Balladen des aktuellen Albums „Saturdays=Youth“, zugunsten einiger stampfender Elektrobretter verzichtete. Klang geil, war super, aber dem Publikum zu großen Teilen egal. Als Vorgruppe hat man es bei Depeche Mode Fans sowieso schwer, weil diese eher getreu dem Motto „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht“ agieren. Neue Musik? Pff? Neue Bands? Egal. Ein Depeche Mode Konzert hat nur Depeche Mode zu gehören! Respekt an die, die es trotzdem versuchen. Polarkreis 18 beispielsweise, welche sich redlich bemühten mit Intelligenz, Musikalität und Showkonzept gegen ein zu großen Teile desinteressiertes Publikum anzuspielen. Dass die Band etwas drauf hat, dürfte jedem klar sein, der sie mal live gesehen hat. Endlich eine deutsche Kombo von internationalem Format und Felix Räuber hatte schon mal die Chancen bei „Allein Allein“ große Stadiongesten auszutesten. Es sei ihnen von Herzen gegönnt, die werden ihren Weg gehen und am Ende war der Applaus gar nicht mal so leise. Sowieso ist das Konzertpublikum bei DM Konzerten ja ein bunter Haufen seltsamer Gestalten. Vom bierbäuchigen Familienvater, über die immer-wieder-gleich schwarzen Dark-Wave-Gestalten, bis hin zur Hausfrau oder Menschen mit akuter Türsteher-Bodybuilderattitüde, welchen man lieber nicht allein im Dunkeln begegnen will. Fast jede Form von Mensch findet man hier, ob man das gut findet oder nicht. Das stimmt schon mit der Music und den Masses. Da wird viel geraucht, noch mehr getrunken und über die gute alte Zeit geredet, als iTunes-Bundles noch 12inches hießen und Dave Gahan noch enge weiße Hosen und dicke Lederjacken trug. Die fehlen heut im Stadion natürlich auch nicht. Versteht sich, trotz sommerlicher Temperaturen. Depeche Mode Gigs sind in Deutschland immer noch ein Happening. Volksfest of the Universe, Hauptsache die Stimmungskracher kommen. Und sie kamen. Mitsamt Band.
Kurz nach 21 Uhr hatte das Warten ein Ende. Für die Fans und für die Band. Endlich rollte der Synthiepopzug weiter, die Stimmung im Stadion ist bestens, als sich die Analogsynthie-Türme von „In Chains“ aufbauen. Als Dave Gahan dann im Jacket die Bühne betritt ist dann sofort wieder Alles beim Alten, nur halt etwas älter. Gahan’s 3-Tagebart bekommt seine grauen Stellen, Gore’s Gesicht lässt auf den Großleinwänden auch die ein oder andere Furche erkennen und Fletch’s Plautze lässt sich sowieso nicht mehr kaschieren. Hier altert eine Band in Würde und mit ihren Fans. Aber heut Abend ist das vergessen, denn heut ist noch mal „Party like it’s 1988.“ Vorerst wird man aber von der Band in die unromantische Gegenwart gerissen, denn nach dem Opener gibt’s erstmal „Wrong“ und „Hole To Feed“ vom neuen, leider an diesem Abend etwas unterrepräsentierten Album „Sounds Of The Universe“. Danach ist aber auch Schluss mit dem neuen Kram, denn dann gibt’s die Songs, die das Volk hören will. Also nicht, alle, weil mir persönlich entlocken die bereits tausend Mal runtergedudelten „Walking In My Shoes“, „Policy Of Truth“ oder „I Feel You“ nur noch ein müdes Lächeln. Ja, gute Songs, aber … pff. Dieses Gefühl von emotionaler Gleichgültigkeit beschlich mich dann im weiteren Verlauf des Abends noch öfters. Das liegt nicht an der Band. Die hatte nach anfänglicher Unsicherheit viel Spass, besonders Stehaufmännchen Gahan genoss sein eigenes Comeback bestens und grinste jedes Honigkuchenpferd an die Wand. Das täuscht nicht darüber hinweg, dass sich die Überraschungsarmut, an welcher Depeche Mode Shows seit Jahren leiden im Jahr 2009 auf ein hohes Level begeben hat. Das fängt bei der Setlist an, die seit Jahren auf Nummer Sicher geht, geht bei den Songs weiter, die seit ca. 15 Jahren in den immer gleichen Versionen gespielt werden und endet beim Showablauf. Man weiß, wo Gahan sich die Jacke auszieht, man kennt die Sprüche („Thank You“, „Yeah“, „That’s Right“, „Let Me See Those Hands!“, „Mardddin“), die Bewegungsabläufe und an welcher Stelle Mr. Gore dem Publikum vorgestellt wird. Alles schön, nett, und für Leute, die das erstmals sehen, sicher interessant, aber ansonsten einfach nur langweilig. Depeche Mode hat live der Mut verlassen, Sachen auszuprobieren und mit den Erwartungen des Publikums zu spielen. Und man kann ihnen nicht mal einen Vorwurf machen. Sie haben Spass, das Publikum hat Spass, aber letztendlich ist es ne Routine. Berufsroutine vielleicht. Und wenn man das so sieht, dann haben Depeche Mode in Leipzig natürlich sauber abgeliefert. Die Songs waren da, das Publikum dabei und „Enjoy The Silence“ machen selbst 1000 schlechte Coverversionen, Formatradioeinsätze oder Dorfdiskonächte kaputt. Dazu ist der Song zu gut. Doch dann gibt’s noch diese raren, überraschenden Momente. Wenn Martin Gore zur Piano-Begleitung „A Question Of Lust“ intoniert, dann hat das etwas Erhabenes und wenn Dave mit dem Publikum noch ne spontane Extrarunde beim Einsingen von „Peace“ dreht und dabei lachen muss, dann sind das so kleine, feine Momente, welche aus der Routine herausragen. Ansonsten alles beim alten, falls ich’s nicht schon erwähnt habe. Die Fans gröhlen, die Arme wedeln bei „Never Let Me Down Again“, Gore’s Anzug glitzert, Fletch tut immer noch so, als wäre sein Mikro wirklich eingesteckt und Dave entledigt sich dann irgendwann auch endlich seiner Weste. Ob dass seine Ärzte gut geheißen haben? „Master And Servant“ wird wieder ausgegraben. So viel Sex und Sado Maso nimmt man den gestandenen Familienvätern zwar nicht mehr ab, aber: Spass machts trotzdem. Und mit dem Anton-Corbijn-Soft-Fußfetischporno, der im Hintergrund zu „Strangelove“ läuft, haben auch die Familienväter im Publikum was zu glotzen. Und gerade wenn man denkt, die Las Vegas Show von Depeche Mode wird klischee-mäßig durchgezogen, schüttelt die Band noch ein goldrichtiges Ass aus dem Ärmel, nämlich die Entscheidung, das Konzert ruhig ausklingen zu lassen. Gore und Gahan stimmen zu reduziertem Soundbild das traumhafte „Waiting For The Night“ von dem unkaputtbaren Jahrhundertwerk „Violator“ an. Für 3min herrscht ausnahmsweise mal wirklich Stille im Stadion. Damit ist alles gesagt. Leipzig jubelt, die Band hat ihre Feuertaufe bestanden und Dave Gahan ist nicht umgekippt. Ein Mix aus Nostalgie, Schweiß und verschüttetem Bier liegt in der Luft. Die Lichter gehen an, die Massen gehen nach hause oder tanzen auf den Aftershow-Parties zu all den Hits, die sie grade gehört oder lange nicht mehr gehört haben. Everything’s alright tonight… once again.
Und ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, es wäre alles schlecht im Hause DM. Im Gegenteil… das neue Album ist toll und beweist, dass die Band noch kreativ sein kann, wenn auch heutzutage in anderen Bereichen, als auf der Bühne. Und so sehr ich mich an diesem Montag Abend das ein oder andere Mal über die Setlist oder betrunkene Wave-Popper geärgert habe… heute sitz ich hier, blick zurück und denke, „Mensch, war doch irgendwie wieder cool.“ Und ich werde auch das nächste Mal dabei sein, wenn der Show-Dinosaurier Depeche Mode in der Stadt ist. Wenn man diese Band einmal liebt, dann wird man sie nicht mehr los. Und genau deshalb sind all diese Menschen da gewesen und deshalb kommen sie auch immer wieder zurück. Es wird zwar nie wieder so sein, wie früher, selbst bei nem Mitzwanziger, wie mir. Aber wen interessiert das eigentlich noch? Kritik an Depeche Mode ist nicht mehr möglich und auch nicht angebracht. Die Einzigen, die sie aufhalten können, sind wirklich nur sie selber. Und da das nicht der Fall ist, sehen wir uns wohl ganz routiniert auch im nächsten Jahrzehnt wieder. Mit mehr Falten, mehr grauen Haaren und mehr Hits.
Setlist /// 01 In Chains 02 Wrong 03 Hole To Feed 04 Walking In My Shoes 05 It´s No Good 06 A Question Of Time 07 Precious 08 Fly On The Windscreen 09 Jezebel 10 A Question Of Lust 11 Come Back 12 Peace 13 In Your Room 14 I Feel You 15 Policy of Thruth 16 Enjoy the Silence 17 Never Let Me Down Again 18 Stripped 19 Master And Servant 20 Strangelove 21 Personal Jesus 22 Waiting For The Night
rhododendron - 10. Jun, 02:23