Der alte Mann und die Massen
Er kam, sang ... und verschwand wieder. In den rund 80 Minuten dazwischen präsentierte sich Morrissey vergangenen Freitag in Berlin von seiner besten Seite. Ein hoffnungslos subjektiver Konzertbericht.
Fast musste man sich schon Sorgen um den altgewordenen Showdinosaurier Stephan Patrick Morrissey machen. Auf dem neuen Album „Years Of Refusal“ hadert der ewige Querulant weniger mit dem Leben als früher, sondern sonnt sich in einer gewissen, ihm auf jeden Fall, zustehenden Altersmilde. Und auch über ein baldiges Karriereende angesichts seines fünfzigsten Geburtstags vergangenen Monat wurde immer wieder geredet. Er selber sieht sich mit 60 nicht mehr auf der Bühne stehen, auch weil er seine Relevanz und Glaubwürdigkeit gefährdet sieht. Und dann noch die Gesundheit. Diverse Konzertabsagen pflastern die „Tour of Refusal“. Ob nun manchmal aus Lust und Laune oder aus gesundheitlichen Gründen war nicht immer erkenntlich. Dennoch führte gerade letzterer Faktor vor einigen Wochen zum großen Massen-Canceln und Frust bei vielen Fans. Ein hartnäckiges Virus machte Moz zu schaffen und die Ärzte verordneten strenge Bettruhe um eine vollständige Genesung zu ermöglichen. Welch Glück, dass Morrissey dann rechtzeitig zur Deutschland-Tour tatsächlich noch fit wurde. Und wie. Nein, ich benutze nicht Begriffe wie „Auferstehung“ oder „Comeback“, aber vergangenen Freitag zeigte der Mann aus Manchester in der Berliner Columbiahalle, wie viel Feuer noch in ihm steckt!
Moz’s Vorliebe für kleinere Hallen auf dieser Tour machte den Auftritt in der knapp 3000-Mann-fassenden Columbiahalle zu einem recht intimen und intensiven Erlebnis. Seit Uhrzeiten bis auf den letzten Platz ausverkauft, verhaarten die Jünger gespannt und gedrängt auf die Ankunft ihres Messias. Stilsicher wurde man mit Aufwärmmusik aus den Bereichen „klassische Oper“ und „Die größten Hits der 50er“ auf eine Zeitreise geschickt, was ganz im Sinne des Hauptacts geschah. Vor diesem gab es noch einen Support-Act. Doll & The Kicks, die nette, x-te britische Variante der Yeah Yeah Yeahs. Nett, stimmungsvoll, für beide Geschlechter gut anzusehen, aber irgendwie auch belanglos. Aus den Augen aus den Sinn. Danach hieß es „Lighten Up, Morrissey“ (besagter Song der Sparks lief nämlich) und Warten auf den selbigen. Natürlich wie immer untermalt mit Musik aus der guten alten Zeit, als Vinyl-Singles noch heilige Grale waren. Die Videocollagen mit alten Musiksendungsschnipseln kennt man ja seit einigen Jahren von ihm. Passt und erzeugt Atmosphäre. Vor allem lässt es einen erahnen, wie es damals war, für einen wie Morrissey mit dieser Musik aufzuwachsen. Und man wird etwas wehmütig, weil man erahnt, welchen Wert und welche musikalische Qualität diese griesligen Schwarzweiß-Videos wirklich haben. Und vor allem, wie viel Stil, der doch heutzutage in einer Welt voller Lady Gagas und „Boom Boom Pows“ irgendwie verloren gegangen ist. So wirkt Morrissey mit samt seinem musikalischen Background natürlich wie ein Relikt alter Zeiten. Aber Gott segne ihn dafür, dass er ein solches ist! Aber die Charaktere Morrissey und Gott lassen sich an diesem Abend sowieso nicht großartig trennen, denn als der Vorhang fällt und die Band unter klassischer Klavierbegleitung auf die Bühne kommt ist großer Jubel angesagt. Vornweg der Bandleader! Selbstsicher, gut gelaunt und bereit, dem Volk zu geben, wonach es sich düstet.
Der Start ist souverän und zielsicher. Die Band spielt „This Charming Man“ in einer rotzig, schrammligen Gitarrenrock-Version, die Johnny Marr sicher nicht gefallen würde, aber der wird an diesem Abend sowieso weder gefragt noch vermisst. Weiter geht’s mit „Billy Budd“ vom 94er Album „Vauxhall & I“, sowie „Black Cloud“ von der aktuellen Platte. Die Band ist heiß und spielt auf Tempo. Die Zuschauer verkommen, gerade in den vorderen Bereichen, wo ich zugegen war, zu einer reinen Masse, die dem Meister bei jeder Geste blind folgt. Dieser ist erstaunlich gut drauf, bekennt, dass er nach all den Jahren wohl doch erkennen muss, Deutscher zu sein und gibt sich auch ansonsten sehr gesprächsbereit. Die großen Gesten wirken souverän wie eh und je. Das Mikrokabel wird wieder zur Peitsche, die er auch gern mal Richtung Publikum schleudert. Nach wie vor ist Morrissey der Inbegriff des schroffen Entertainers, den er auch an diesem Abend wieder gibt. Er meistert dies mit einer erstaunlichen Gratwanderung zwischen Würde und Selbstparodie. Zwischendurch wird gelächelt und gelitten, wie es sonst kein zweiter kann. Und wie viel davon mit Fünfzig noch authentisch ist, kann man sicher hinterfragen… das Publikum, inklusive mir, kauft ihm jeden Handwink ab. Die Songauswahl entspricht zu großen Teilen den Tracks, die er bereits während der kompletten Tour spielt. Ein solider Mix aus diversen Solo-Stücken und Smiths-Klassikern. Über letztere freut man sich natürlich immer sehr. „Ask“ versprüht gute Laune, „How Soon is Now?“ ist wuchtig und intensiv wie eh und je, „Girlfriend In A Coma“ witzig und das man mal „Some Girls Are Bigger Than Others“ live hören würde, ist ja auch ne feine Sache, wenngleich diese Version natürlich bei weitem nicht die Genialität der Studioversion erreicht. Vermutlich auch ein Grund, warum sie in den letzten 25 Jahren kaum gespielt wurde. Ach, und „I Keep Mine Hidden“ ist eh einer der wenigen überflüssigen Smiths-Songs. Da war die Luft dann schon raus. Hinzu gesellen sich tolle Solo-Klassiker. Ein reduziertes, aber stimmungsvolles „Why Don’t You Find Out For Yourself?“ wird vom Publikum inbrünstig mitgesungen, „Seasick, Yet Still Docked“ rührt zu Tränen und die alte B-Seite „The Loop“ verkommt zum kurzweiligen Rockabilly-Moment. Die neuen Songs passen hervorragend rein, sind aber leider etwas unterrepräsentiert. Einer der stärksten, auch live, ist dabei „OK by Myself“, welcher, würde Moz’ seine Karriere jetzt schon beenden wollen, als finales Statement mehr als in Ordnung gehen würde. Da gibt er, zusammen mit der perfekt aufeinander eingespielten Band, noch mal alles. Dementsprechend herzlich fällt der Applaus aus, unter welchem sich die Band noch einmal auf die Bühne begibt. Zum Verbeugen und um natürlich noch das unverzichtbare „First Of The Gang“ anzustimmen. Jetzt gibt man auf beiden Seiten, Bühne wie Publikum, noch mal einiges. Letzte Verrenkungen für die begehrten Handschläge mit Moz, sowie Stageinvasionen inklusive. Danach, und das sei hiermit der einzige Kritikpunkt, neben der Tatsache, dass die Veranstalter die Columbiahalle immer so voll stopfen, war Schluss… leider! Aber mehr ist vielleicht nicht mehr drin. Muss ja auch nicht mehr sein. Die Jünger des heiligen St. Patrick haben bekommen, wonach sie verlangt haben. Auch nach über einem Vierteljahrhundert hängen wir weiterhin, wie gespannt an seinen Lippen und beten, zu wem auch immer, dass uns dieser komische, kauzige alte Mann noch ein paar Jährchen erhalten bleibt. „One Day Will Be Farewell“ heißt einer der Songs auf dem neuen Album. Nach diesem Abend bin, zumindest ich, wieder ein wenig optimistischer, dass dieser Tag noch in weiter Ferne ist.
Setlist /// 01 This Charming Man 02 Billy Budd 03 Black Cloud 04 Ask 05 When Last I Spoke To Carol 06 How Can Anybody Possibly Know How I Feel? 07 How Soon Is Now? 08 I'm Throwing My Arms Around Paris 09 The World Is Full Of Crashing Bores 10 Girlfriend In A Coma 11 Why Don't You Find Out For Yourself? 12 Seasick, Yet Still Docked
13 Some Girls Are Bigger Than Others 14 One Day Goodbye Will Be Farewell 15 I Keep Mine Hidden 16 Irish Blood, English Heart 17 Let Me Kiss You 18 The Loop 19 I'm OK By Myself 20 First Of The Gang To Die
Fast musste man sich schon Sorgen um den altgewordenen Showdinosaurier Stephan Patrick Morrissey machen. Auf dem neuen Album „Years Of Refusal“ hadert der ewige Querulant weniger mit dem Leben als früher, sondern sonnt sich in einer gewissen, ihm auf jeden Fall, zustehenden Altersmilde. Und auch über ein baldiges Karriereende angesichts seines fünfzigsten Geburtstags vergangenen Monat wurde immer wieder geredet. Er selber sieht sich mit 60 nicht mehr auf der Bühne stehen, auch weil er seine Relevanz und Glaubwürdigkeit gefährdet sieht. Und dann noch die Gesundheit. Diverse Konzertabsagen pflastern die „Tour of Refusal“. Ob nun manchmal aus Lust und Laune oder aus gesundheitlichen Gründen war nicht immer erkenntlich. Dennoch führte gerade letzterer Faktor vor einigen Wochen zum großen Massen-Canceln und Frust bei vielen Fans. Ein hartnäckiges Virus machte Moz zu schaffen und die Ärzte verordneten strenge Bettruhe um eine vollständige Genesung zu ermöglichen. Welch Glück, dass Morrissey dann rechtzeitig zur Deutschland-Tour tatsächlich noch fit wurde. Und wie. Nein, ich benutze nicht Begriffe wie „Auferstehung“ oder „Comeback“, aber vergangenen Freitag zeigte der Mann aus Manchester in der Berliner Columbiahalle, wie viel Feuer noch in ihm steckt!
Moz’s Vorliebe für kleinere Hallen auf dieser Tour machte den Auftritt in der knapp 3000-Mann-fassenden Columbiahalle zu einem recht intimen und intensiven Erlebnis. Seit Uhrzeiten bis auf den letzten Platz ausverkauft, verhaarten die Jünger gespannt und gedrängt auf die Ankunft ihres Messias. Stilsicher wurde man mit Aufwärmmusik aus den Bereichen „klassische Oper“ und „Die größten Hits der 50er“ auf eine Zeitreise geschickt, was ganz im Sinne des Hauptacts geschah. Vor diesem gab es noch einen Support-Act. Doll & The Kicks, die nette, x-te britische Variante der Yeah Yeah Yeahs. Nett, stimmungsvoll, für beide Geschlechter gut anzusehen, aber irgendwie auch belanglos. Aus den Augen aus den Sinn. Danach hieß es „Lighten Up, Morrissey“ (besagter Song der Sparks lief nämlich) und Warten auf den selbigen. Natürlich wie immer untermalt mit Musik aus der guten alten Zeit, als Vinyl-Singles noch heilige Grale waren. Die Videocollagen mit alten Musiksendungsschnipseln kennt man ja seit einigen Jahren von ihm. Passt und erzeugt Atmosphäre. Vor allem lässt es einen erahnen, wie es damals war, für einen wie Morrissey mit dieser Musik aufzuwachsen. Und man wird etwas wehmütig, weil man erahnt, welchen Wert und welche musikalische Qualität diese griesligen Schwarzweiß-Videos wirklich haben. Und vor allem, wie viel Stil, der doch heutzutage in einer Welt voller Lady Gagas und „Boom Boom Pows“ irgendwie verloren gegangen ist. So wirkt Morrissey mit samt seinem musikalischen Background natürlich wie ein Relikt alter Zeiten. Aber Gott segne ihn dafür, dass er ein solches ist! Aber die Charaktere Morrissey und Gott lassen sich an diesem Abend sowieso nicht großartig trennen, denn als der Vorhang fällt und die Band unter klassischer Klavierbegleitung auf die Bühne kommt ist großer Jubel angesagt. Vornweg der Bandleader! Selbstsicher, gut gelaunt und bereit, dem Volk zu geben, wonach es sich düstet.
Der Start ist souverän und zielsicher. Die Band spielt „This Charming Man“ in einer rotzig, schrammligen Gitarrenrock-Version, die Johnny Marr sicher nicht gefallen würde, aber der wird an diesem Abend sowieso weder gefragt noch vermisst. Weiter geht’s mit „Billy Budd“ vom 94er Album „Vauxhall & I“, sowie „Black Cloud“ von der aktuellen Platte. Die Band ist heiß und spielt auf Tempo. Die Zuschauer verkommen, gerade in den vorderen Bereichen, wo ich zugegen war, zu einer reinen Masse, die dem Meister bei jeder Geste blind folgt. Dieser ist erstaunlich gut drauf, bekennt, dass er nach all den Jahren wohl doch erkennen muss, Deutscher zu sein und gibt sich auch ansonsten sehr gesprächsbereit. Die großen Gesten wirken souverän wie eh und je. Das Mikrokabel wird wieder zur Peitsche, die er auch gern mal Richtung Publikum schleudert. Nach wie vor ist Morrissey der Inbegriff des schroffen Entertainers, den er auch an diesem Abend wieder gibt. Er meistert dies mit einer erstaunlichen Gratwanderung zwischen Würde und Selbstparodie. Zwischendurch wird gelächelt und gelitten, wie es sonst kein zweiter kann. Und wie viel davon mit Fünfzig noch authentisch ist, kann man sicher hinterfragen… das Publikum, inklusive mir, kauft ihm jeden Handwink ab. Die Songauswahl entspricht zu großen Teilen den Tracks, die er bereits während der kompletten Tour spielt. Ein solider Mix aus diversen Solo-Stücken und Smiths-Klassikern. Über letztere freut man sich natürlich immer sehr. „Ask“ versprüht gute Laune, „How Soon is Now?“ ist wuchtig und intensiv wie eh und je, „Girlfriend In A Coma“ witzig und das man mal „Some Girls Are Bigger Than Others“ live hören würde, ist ja auch ne feine Sache, wenngleich diese Version natürlich bei weitem nicht die Genialität der Studioversion erreicht. Vermutlich auch ein Grund, warum sie in den letzten 25 Jahren kaum gespielt wurde. Ach, und „I Keep Mine Hidden“ ist eh einer der wenigen überflüssigen Smiths-Songs. Da war die Luft dann schon raus. Hinzu gesellen sich tolle Solo-Klassiker. Ein reduziertes, aber stimmungsvolles „Why Don’t You Find Out For Yourself?“ wird vom Publikum inbrünstig mitgesungen, „Seasick, Yet Still Docked“ rührt zu Tränen und die alte B-Seite „The Loop“ verkommt zum kurzweiligen Rockabilly-Moment. Die neuen Songs passen hervorragend rein, sind aber leider etwas unterrepräsentiert. Einer der stärksten, auch live, ist dabei „OK by Myself“, welcher, würde Moz’ seine Karriere jetzt schon beenden wollen, als finales Statement mehr als in Ordnung gehen würde. Da gibt er, zusammen mit der perfekt aufeinander eingespielten Band, noch mal alles. Dementsprechend herzlich fällt der Applaus aus, unter welchem sich die Band noch einmal auf die Bühne begibt. Zum Verbeugen und um natürlich noch das unverzichtbare „First Of The Gang“ anzustimmen. Jetzt gibt man auf beiden Seiten, Bühne wie Publikum, noch mal einiges. Letzte Verrenkungen für die begehrten Handschläge mit Moz, sowie Stageinvasionen inklusive. Danach, und das sei hiermit der einzige Kritikpunkt, neben der Tatsache, dass die Veranstalter die Columbiahalle immer so voll stopfen, war Schluss… leider! Aber mehr ist vielleicht nicht mehr drin. Muss ja auch nicht mehr sein. Die Jünger des heiligen St. Patrick haben bekommen, wonach sie verlangt haben. Auch nach über einem Vierteljahrhundert hängen wir weiterhin, wie gespannt an seinen Lippen und beten, zu wem auch immer, dass uns dieser komische, kauzige alte Mann noch ein paar Jährchen erhalten bleibt. „One Day Will Be Farewell“ heißt einer der Songs auf dem neuen Album. Nach diesem Abend bin, zumindest ich, wieder ein wenig optimistischer, dass dieser Tag noch in weiter Ferne ist.
Setlist /// 01 This Charming Man 02 Billy Budd 03 Black Cloud 04 Ask 05 When Last I Spoke To Carol 06 How Can Anybody Possibly Know How I Feel? 07 How Soon Is Now? 08 I'm Throwing My Arms Around Paris 09 The World Is Full Of Crashing Bores 10 Girlfriend In A Coma 11 Why Don't You Find Out For Yourself? 12 Seasick, Yet Still Docked
13 Some Girls Are Bigger Than Others 14 One Day Goodbye Will Be Farewell 15 I Keep Mine Hidden 16 Irish Blood, English Heart 17 Let Me Kiss You 18 The Loop 19 I'm OK By Myself 20 First Of The Gang To Die
rhododendron - 15. Jun, 11:08