Montag, 6. Juni 2011

Opium fürs Volk

Hype ist sein Hobby... Deutschlands Techno-Botschafter Paul Kalkbrenner hat ein neues Album veröffentlicht. Dieser Fakt und sein Inhalt sind allerdings eher Nebensache angesichts seiner Popularitätswerte. Doch was taugt das Ganze nun wirklich?

51__320x240_paul-kalkbrenner-1Was soll man noch über diesen Mann schreiben, was nicht schon an anderer Stelle irgendwie erwähnt wurde? Über neue Musik von Paul Kalkbrenner zu reden ohne dabei auf das Phänomen einzugehen ist schlichtweg nicht mehr möglich. Zu groß ist das alles geworden, gerade für deutsche Verhältnisse ist Kalkbrenner ein Hype, wie ihn diese Republik musikalisch nur selten erlebt. Fast über Nacht wurde aus einem von dutzenden Hauppstadt-DJ’s DAS deutsche DJ-Aushängeschild. Der Heilsbringer der Hedonisten, König der Knöpfchendreher! Von der oberen Mittelschicht bis ins tiefste Präkariat kann man sich scheinbar die ganze Republik auf ihren Volks-DJ einigen. Und immer mehr kamen dazu. Aus netten Clubs sind längst Mehrzweckhallen oder jetzt jüngst zwei Mal die Berliner Wuhlheide geworden. Das hängt natürlich und ohne Zweifel zu großen Teilen mit „Berlin Calling“ zusammen, jenem kleinen, unscheinbaren Programmkino-Schmuckstück, welches Kalkbrenner als DJ am Rande des Nervenzusammenbruchs zeigte. Irgendwie ist er ein Kultfilm geworden. Vielleicht auch, weil er so häufig romantisch verklärt wird. Kalkbrenners „DJ Ickarus“ wurde zur Leid- und Symbolfigur einer Gesellschaft im Banne des Exzesses. Immer mehr, immer feiern. Egal, ob die Klapse die Endstation ist. Das Ickarus am Ende im Film geläutert ist und die Kurve kriegt macht das ganze nur noch massenwirksamer. Seitdem müssen und wollen alle mit, wenn’s um Minimal, Clubs, AfterHours und das Berliner Nachtleben geht. Den Mehrweit dieser Entwicklung überlass ich dem subjektiven Empfinden jedes Einzelnen.

Und was macht Kalkbrenner selber? Der ist längst ein gut funktionierendes Unternehmen, bespielt permanent und konstant erfolgreich die Bühnen dieser Welt und nimmt seine Rolle als Kulturbotschafter gelassen. Er scheint das ganze locker zu nehmen. So auch das Album. Das heißt halt „Icke wieder“, weil... na ja, wie soll det och sonst heißen? Das Album ist lediglich ein Nebenprodukt des nicht enden wollenden Hypes. So wirkt es zumindest auf den Beobachter. Groß Promo ist da nicht. Und auch keine kommerzielle Ausrichtung. Paul selber meinte ja auch, er hätte jetzt durchaus noch einen Song mit Bruder Fritz im Stile von „Sky And Sand“ aufnehmen können. Wollte er aber nicht. Er hätte auch ganz viel bekannte Gaststimmen draufpacken können (dem Ruf wären sicher viele gefolgt). Wollte er aber auch nicht. Er macht das halt lieber alles allein. Also bietet diese Kalkbrenner Platte genau das, was man irgendwie vom Namen erwartet. 10 flauschig, groovende und instrumentale Minimal Tracks, die gar nicht erst versuchen, anders zu klingen. Butterweiche Grooves, mal härter, mal chilliger, aber stets in die exakt gleiche Richtung der Tracks auf dem "Berlin Calling"-Soundtrack. Nicht mehr, nicht weniger. Kalkbrenner liefert den Standard ab, der ihn, in Kombination mit den Bildern des Films bundesweit bekannt machte.

Diese Art von Musik funktioniert aus meiner Sicht auch deshalb so gut, weil sie trotz ihrer treibenden Art auch zu großen Teilen irgendwie belanglos ist. Und nicht unbedingt tanzbar. Wie schon zuletzt der "Berlin Calling"-Soundtrack kann man "Icke wieder" auch problemlos zum Putzen, Einschlafen, Steuererklärung-machen, Grillen im Park, Autofahren oder sonst irgendwo hören. Musik zum Überhören, denn... seien wir mal ehrlich: sonderlich hochwertig ist Kalkbrenners Minimal-Techno auch nie gewesen. Handwerklich aber ziemlich gut und vor allem schafft er es als einer der wenigen diese bestimmte Stimmung zu erzeugen, die einher geht, wenn man an diese Musik denkt. Die Aufregung scheint meistens in dem Drumherum zu liegen, statt in der Musik selber. Kalkbrenners Mucke ist entspannt, unnötig knarzende Basssequenzen, dramatische Aufbauten oder zerhackte Dance-Beats, die mal die 130 BpM hinter sich lassen sucht man nach wie vor vergebens. Wenn ein Track zwei Minuten läuft, kann man sicher sein, dass sich da in den nächsten fünf nichts Weltbewegendes mehr tut. Es liegt sicher auch im eigenen Verständnis von Dance-Musik, wie man die Wertigkeit von Kalkbrenners' Stücken einschätzt. Zum Schmunzeln laden Songtitel wie "Des Stabes Reuse", "Schmökelung" und "Der Breuzen" in jedem Fall ein. Die Sympathiewerte liegen eindeutig beim Hobby-Linguisten. Paule wird sein Ding weiter durchziehen, egal was man von all dem drum herum und seiner Musik so halten kann und will. "Icke wieder" wird sich gut verkaufen, die Stadien werden voll bleiben und die Maschine wird, getragen durch die Massen, weiter durch die Welt rollen. Wenn der ein oder andere dabei erkennen sollte, das elektronische Tanzmusik auch mehr sein kann, als das, was sie nach Kalkbrenners' Verständnis ist, dann besteht vielleicht Hoffnung, dass auch andere Produzenten mal etwas Ruhm abbekommen. Film hin oder her.

nobono

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