Dienstag, 2. März 2010

Pop auf die Zwölf

CoverJaguar Love bieten mit ihrem Album Hologram Jams feinste Popmusik für alle, die entweder extrem kurze Aufmerksamkeitsspannen aufweisen oder denen anderweitig leicht mal die Sicherungen durchbrennen.

Frage: Wer ist Hannah Blilie? Richtig! Die gute Frau, die auf dem Cover von Music For Men von The Gossip zu sehen ist. Außerdem ist sie die Schlagzeugerin derselben Band. Des Weiteren ist sie noch die Zwillingsschwester von Jordan Blilie. Den wiederum könnte man kennen, wenn man sich mal mit den Blood Brothers auseinandergesetzt hat. Denn da war er einer von den beiden Schreihälsen und hat zu unglaublich chaotischer, drängender, lauter, intensiver, hyperaktiver und schlichtweg schwer beeindruckender Musik im Wechsel mit Johnny Whitney unfassbar poetische, also wunderschöne bis schwer verstörende, Texte gesungen oder gekreischt.
So kam zum Beispiel von dieser Band der Refraintext des verblichenen Jahrzehnts:
Thanks for the survival rags!
Thanks for the soiled skies!
Thanks for the fucked up future!
We can learn to love misery!

(zu hören in Feed Me To The Forest auf dem 2004er Meisterwerk Crimes).
Um mal so langsam zum Kern des Pudels zu kommen: Johnny Whitney wiederum hat sich nach dem Ende der Blood Brothers 2007 gedacht: "Warum gegen Gitarrenwände ansingen, die klingen wie ein Eisenbahnunfall, wenn ich doch genau so gut mal ordentlich den Popkasper raushängen lassen kann?" Also entschied er sich, gemeinsam mit Mitstreitern von den Blood Brothers und den Pretty Girls Make Graves die Band Jaguar Love zu gründen und eben einfach mal richtigen Pop für die Disco zu intonieren. So richtig mit Synthies, Claps, Melodien, Verse-Chorus-Bridge-Strukturen und allem Pipapo, was noch dazugehört. Nach dem ersten Album sind nun für das zweite Album Hologram Jams nur noch er und der alte Blood Broothers-Gitarrist Cody Votolato übrig geblieben. Was der Sache aber keinen Abbruch tut - Ideen haben die Knaben für zehn.
Nun war es ja nicht so, dass Whitneys alte Band nur unhörbaren Krach fabriziert hat. Nein, immer wieder ließen sie eine gute Portion Pop durchblitzen, der durchaus auch die Fähigkeit hatte, sich im Ohr festzusetzen, wenn man denn offen genug war und sich von den 30 Stimmungs- und Rhythmuswechseln pro Song (!) nicht hat einschüchtern und ermüden lassen. Nur musste man halt schon etwas genauer hinhören.
Bei Jaguar Love besteht da aber überhaupt kein Zweifel mehr, wo das Ganze hin soll. Hier reiht sich eine catchy Hookline, an schmissigen Beat an Ohrwurmrefrain, dass man nur die weiße Bierfahne schwenken kann. So hauen sie erstmal mit dem Eröffnungsdrilling I Started A Fire, Polaroids And Red Wine und Cherry Soda solch unwiderstehliche Hits raus, dass einem schon Angst und Bange wird.
Womit man allerdings vorlieb nehmen muss, ist die sehr ... ähemm ... markante Stimme von Johnny Whitney. Klingt halt oftmals wie einer von den Chipmunks oder - um mal einen seriöseren Vergleich zu suchen - ein noch aufgedrehterer Cedric Bixler-Zavala (The Mars Volta, At The Drive-In). Allerdings ist auch diese unglaubliche Stimmlage und Gesangslage auch das, was der ganzen Musik ihren unglaublichen Drive verleiht. Natürlich ist auch die Musik uptempo und ständig passiert an allen Ecken und Enden etwas, jedoch erst durch die latent ungeduldige Gesangsart des Sängers, der mit seiner Stimme immer kurz vorm Überschnappen ist, wird eine unglaubliche Intensität erzeugt, die relativ schnell auch die Assoziation "ADHS" generiert.
Beim zweiten Hinhör stellt man dann aber fest, dass hier niemand komplett unstrukturiert zu Werke schreitet. Man stellt fest, dass halt nur Rhythmen ineinandergeschoben werden, dass die Stimme doch trotz der hohen Lage recht fest im Sattel sitzt und durchaus fähig ist, sicher schöne Melodien zu intonieren. Die Breaks passieren zwar dreimal so häufig wie bei anderen Kapellen, allerdings auch dreimal so sinnvoll.
Trotz gelegentlicher Durchhänger (Up All Night und A Prostitute, An Angel) muss man den beiden Buam letztendlich doch ein erstaunliches Geschick zugestehen, schlüssige und geschmackvolle Songs zu schreiben.
So zum Beispiel das vergleichsweise ruhige aber umso intensivere Evaline, der schon fast simple, aber sehr schmissige Abschluss Piece Of My Heart, mit dem man irgendwie assoziieren muss, dass AC/DC Neue Deutsche Welle spielen. Oder das sehr hübsche - im entspannten Offbeat gehaltene Don't Die Alone, dass durchaus die Sonne aufgehen lassen kann.
Ein kleines Manko ist, dass die Texte, die zu Blood Brothers-Zeiten haushoch metaphorisch verquickt waren, nun eine viel einfachere Sprache bedienen, die natürlich das plakative Popthema unterstützt, jedoch mitnichten mit den hohen Erwartungen mithalten kann.
Alles in allem also eine Platte, die eingängig und dennoch fordernd genug ist. Sie wird zwar nie in der Idiotendisco um die Ecke laufen, aber wahrscheinlich auch demnächst in Ihrer gut sortierten Studentendisse. Und alle schauen sich an und sagen: "Boah! Anstrengend!" und können sich trotzdem nicht anders helfen, als zu tanzen.
Hologram Jams ist seit heute als Import erhältlich und ab 02. April auch hierzulande.

Hörbeispiele:
I Started A Fire
Polaroids And Red Wine

nobono

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