|:Mottenkiste:| / Nichts wird zurückgelassen
Die Kanadier von The Dears sind vor allem durch das ganz fabelhafte Stück Who Are You Defenders Of The Universe in Erscheinung getreten. Wer auch immer es hörte, konnte in eine kalte, traurige, kraftvolle Welt eintauchen. Was ist das für ein Album, dem dieser schöne Titel entnommen ist? No Cities Left führt diese Linie fort, jedoch ohne die gleiche Intensität über die gesamte Länge halten zu können. Aber auch die weniger starken Stücke füllen ein recht feines Indiepop-Album auf.
No Cities Left erschien 2004 und muss eigentlich nicht weiter auffallen. Schließlich hört man – kurz gefasst – eine stimmliche Mischung aus Damon Albarn (Gorillaz, Blur) und Morrissey über stark Interpol ähnelter Musik. Da diese Referenzen für sich ja schon den Mund wässrig machen lassen, sollte man die Kombination dieser Elemente doch mal genauer betrachten.
Der erste Titel We Can Have It, besteht aus einer Beschwörung zur Hoffnung, die noch honigfarben daher kommt. Alles noch halbwegs kuschelig und warm. Mit dem darauffolgenden Who Are You, Defenders Of The Universe jedoch entweicht schlagartig alle Wärme: Die ganze Szenarie taucht in eine metallische Kälte und wird es für den Rest des Albums auch beibehalten. Zwar leuchten kurze Hoffnungsschimmer auf, wie die Frühlingshymne Don’t Lose The Faith oder der beschwingte Indiesong Lost In The Plot. Diese sind aber die einzigen und werden dann auch umgehend wieder abgeschattet. Und in dieser ganzen eisigen, verlorenen, depressiven Atmosphäre ist dennoch genug Raum für Spielereien. Wie im Waisenkinderheim. Da trötet im elegischen Expect the Worst/'Cos She's a Tourist urplötzlich ein cheesy Saxophon ums Eck, das Gesangsmikrofon darf auch mal die Keyboarderin Natalia Yanchak mit ihrem Speichel benetzen, wie es bei 22: The Death of All the Romance der Fall ist, was die Musik zu einem interessanten Duett erweitert, zwei Stücke kratzen an der Acht-Minuten-Schallmauer, Trompeten, Harmonikas, Orgeln, Wurlitzer, Stromgitarrengewitter, Synthies!
Alles darf mindestens einmal kurz aufspielen, was nicht fest in die Studiomauer eingelassen war. Kein Tonerzeuger wird zurückgelassen, als wäre es ein fünftes Rad am Wagen. The Dears beziehen alle mit ein. Gut, solche Alben gibt es zuhauf. Entscheidend ist ja nicht das, was man oben reinstopft. Entscheidend ist es – so hat es schon der deutsche Philosoph H. Kohl beschrieben –, was hinten rauskommt. Das sind im Falle von No Cities Left eine schöne Sammlung kleiner Popepisoden. Mal größer, mal kleiner. Aber immer ausreichend eingängig, dass man gerne ein Ohr mehr riskiert. Dieses wird dann auch umgehend mit Hooklines und Ohrwürmern vollgestopft. Von welcher der tausend Tonquellen die kommen – ob es ein hübsches Gitarrenlick ist, oder ein beseelter Chor, ein Orgelsolo oder doch ein 1A-Morrissey-Imitation – ist eigentlich egal. Auf jeden Fall sind sie nicht zu knapp.
Zusammenfassend, ist festzuhalten, dass Freunde des komplexeren Pop hiermit ihre unverhohlene Freude haben dürfen. Allen anderen sei dies natürlich auch gewährt. The Dears lassen ja nichts und niemanden zurück.
Hörbeispiele:
Lost In The Plot (download)
Who Are You, Defenders Of The Universe (YouTube)