Freitag, 5. November 2010

Gegen die Kreativpause

Er kann einfach nicht anders. Rasmus Kellerman, die Stimme von Tiger-Lou singt sich von seiner eigenen Band und Vergangenheit frei… glücklicherweise nur in Teilen. Ein Augenzeugenbericht vom gestrigen Konzertabend im Berliner Comet Club.

Singer-/Songwriter Rasmus Kellerman ist wie die meisten Songschreiber ein Suchender, aber vor allem auch kein Rastender. Er hat es ja versucht, betont er an diesem Abend im gemütlichen kleinen Comet Club in Berlin auch zwischendurch, aber er kann einfach nicht aufhören, Songs zu schreiben. Sein einstiges Hauptprojekt, Tiger Lou liegt nach der letzten Platte „A Partial Print“ auf Eis, weil man nach eigener Aussage nicht mehr wusste, was man nach diesem Werk noch folgen lassen sollte. Und eigentlich wollte der Schwede pünktlich zum Dreißigsten die Dinge neu angehen und vielleicht mal was anderes, sinnvolleres als Musik machen. Nix da, auf einmal flossen die neuen Songs wie selbstverständlich aus ihm heraus, so dass nach nicht mal einem Jahr Pause 2010 die Neuerfindung in Form des Albums „The 24th“ erschien, dem ersten Soloalbum unter seinem eigenen Namen. Und obwohl er jüngst wieder mal in einem seiner kurzweiligen Blogeinträge ankündigte, vielleicht erstmal doch die Erfüllung abseits der Musik zu suchen, gibt dieser Abend in Berlin die Entwarnung: er hat noch lange nicht genug und die neuen Ideen sprudeln immer noch aus ihm heraus. Was soll er auch dagegen machen, denkt er sich und grinst so verschmilzt ins Publikum, wie man nur grinsen kann, wenn so entspannt ist, wie der gute Herr Kellerman.

Ganz allein ist er an dem Abend dann doch nicht. Tiger-Lou-Gitarrist Mathias Johansson unterstützt seinen Chef mit E-Gitarre und Backing Vocals, während Kellerman seine Stimme und eine Akustikgitarre bleiben. Mehr braucht man auch nicht. Heut geht es nur um die Musik, das Hörerlebnis guten, ehrlichen Songwritings. Kein Schnicksnack. Ein Stuhl, zwei Mikros und jeweils ein Bier. Beide freuen sich sichtlich über die nette Abwechslung zu ihrem Arbeitsalltag und genießen jede Minute ihres kleinen Liederabends. Das Berliner Publikum, anfangs noch gewohnt schnatternd, verstummt mehr und mehr mit jedem Song, unterbricht die Stille lediglich mal für frenetischen Jubel. Das muss drin sein. Ansonsten blickt Kellerman entspannt in die Zukunft, das macht er auch bei der Songauswahl deutlich. Altes Tiger-Lou-Material sucht man vergebens und so schön es auch gewesen wäre, irgendwie mal Tracks wie „Oh Horatio“, „Sam As In Samantha“ oder „Nixon“ in abgespeckter Form zu hören, so wenig vermisst man sie am Ende. Immerhin schafft es das sympathische „Last Night They Had To Carry Me Home“, sowie das uralte „Gone Drifting“ ins Set. Ansonsten will sich Rasmus Kellerman bewusst als Rasmus Kellerman und nicht als „der Typ, der bei Tiger-Lou singt“ präsentieren. Dafür greift er anfangs auf die wunderbaren Folk-Pop-Nummern von „The 24th“ zurück, die auch durch zusätzliche Reduzierung an diesem Abend noch an Größe gewinnen. Der optimistische Titelsong gleich zu Beginn. Man sieht die Bilder von Rasmus’ scheinbar recht zufriedenstellender Kindheit vor seinem Auge vorbeiziehen und kann die Glücksmomente nachvollziehen. Besonders bei den sehr ruhigen, melancholischen Songs „Five Years From Now“ oder „Talk Of The Town“, welche ohnehin zu meinen Favoriten auf der Platte gehören, sind songgewordene Träume an diesem Abend. Pure Glückseeligkeit, trotz oder gerade wegen ihrer Melancholie. Dafür hat der gute Mann ja bekanntermaßen eh ein Händchen. Selbst der traurigste Tiger-Lou/ Rasmus-Kellerman-Song strahlt am Ende immer noch ein Fünkchen Hoffnung aus. Das gewisse Etwas, welches es dazu braucht, haben sie auf jeden Fall. Vielleicht ist es auch die warme Stimme von Kellerman, welche das rettende Licht in der Dunkelheit des Tunnels der Traurigkeit darstellt. Egal, wie er das macht, er macht es super, nach wie vor. Einer der Besten seiner Zunft.

Und die wichtigste Erkenntnis des Abends bleibt… er macht weiter, egal in welcher Form, aber die tollen Songs über das Leben, seine Widrigkeiten und schönen Seiten, sowie Geschichten aus seinem Leben und Umfeld, bleiben und entstehen nach wie vor. Eine Handvoll wird an diesem Abend bereits präsentiert. Frisches Material, gewohnt einfühlsam und qualitativ hochwertig. Was auch immer kommen wird, egal, ob Album, EP, Tiger-Lou-Platte oder was ganz Anderes… es wird kommen. Kellerman geht die Dinge anscheinend etwas entspannter an, als früher. Sollte man ja ab dieser Lebensphase vielleicht auch. Das Publikum ist begeistert, Kellerman dankt brav, lächelt viel und strahlt permanent das Gefühl aus, gern da zu sein. Unbezahlbar sozusagen. Als ein Zwischenruf aus den hinteren Reihen nach dem Uralt-Track „Not True Devil Girl“ von der ersten Tiger-Lou-EP verlangt, versucht sich Kellerman engagiert am eigenen Stück, welches er laut eigener Aussage seit fast zehn Jahren nicht mehr gespielt hab. Mithilfe des Zurufers und der eigenen Erinnerung kämpft er sich ganz leicht durch einen Großteil des eigenen Songs, Kollege Mathias macht gute Mine zum spontanen Spiel und steigt mit ein ohne überhaupt zu wissen, was er denn da spielt. Der Blickkontakt und die nonverbale Kommunikation zwischen beiden Protagonisten wird zum Abendhighlight. Am Ende erinnert sich Kellerman dann doch nicht mehr wirklich, bricht die Nummer etwas eher ab und hat die Sympathie aller Gäste trotzdem auf seiner Seite. So einfach kann’s gehen. Rasmus Kellerman präsentiert sich 2010 endlich wieder gelassen, entkrampft und als bodenständiger Typ von Nebenan, der nach Konzertende am Bühnenrand noch die Restbestände der eigene Platte vertickt, ein Schwätzchen hält und in meinem Fall sogar ganz unkompliziert die eigene Mailadresse weiterreicht zwecks Uralt-Plattenerwerbs und dabei so ehrlich und nett agiert, dass man sich wünscht, alle Künstler wären etwas mehr von diesem Schlag. Kellerman bleibt ein Gewinn für uns alle, auch in Zukunft. Denn, so versichert er im Bühnenrandgespräch am Ende noch einmal, Musik wird er sein Leben lang weiter machen. Diese Erkenntnis werden alle Besucher, denke ich, mit Freude zur Kenntnis nehmen.

Setlist:

01. The 24th
02. The Greatness & Me
03. Five Years From Now
04. Last Night They Had To Carry Me Home
05. For The Weekend
06. Talk Of The Town
07. My OK
08. A House By The Ocean
09. Gone Drifting
10. Not True Devil Girl
11. Woodlands
12. You Can’t Say No To Me

13. Somewhere In London
14. Caught In A Light

(Songtitel und Reihenfolge können evtl. abweichen)


Zur Verdeutlichung ein Video von einem anderen Auftritt:
DGHNT (Gast) - 7. Nov, 01:17

schoener bericht!

Absinther (Gast) - 10. Nov, 22:33

Einer der Guten...

Mich hat es sehr erfreut, diesen Bericht zu lesen und alles was drinsteht trifft auch zu... Für mich eines der Konzerthiglihts diesen Jahres...
Schön freut mich, ich hoffe wir werden noch viel von ihm sehen können...
PS: Hast du schon eine Mail rausgeschickt???

rhododendron - 10. Nov, 23:15

Danke...

... zurück. Ja, es war ein wunderbarer Abend. E-Mail ist raus, erwarte Antwort. Hoffentlich *g*

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