Mittwoch, 1. Dezember 2010

Erwärmendes für Hirn, Herz und Hüften

Für alle die es bisher noch nicht erkannt haben: Die Foals sind weit mehr als eine Hype-Eintagsfliege. Nachdem sie uns mit "Total Life Forever" eine der schönsten Alben der letzten Zeit geschenkt haben, beehren sie dieser Tage wieder deutsche Konzertbühnen mit ihren musikalischen Talent. Ein Augenzeugenbericht vom gestrigen Abend im Berliner Kesselhaus.

Kalt! Eiskalt! Sibirische Kälte! Oder eher spanische? Jedenfalls weiß ich noch ungefähr, welchen Ersteindruck das Video zu „Spanish Sahara“ im Frühjahr 2010 bei mir hervorrief. Da stapft Foals-Frontmann Yannis Philippakis durch endlose Eiswüsten und man sieht ihm an, dass es keine vergnügliche Trekkingtour ist. Doch die Musik ist großartig und wärmt am Ende. Vielleicht sogar den kleinen Griechen aus London. Wettertechnisch lies sich dies am Dienstagabend in Berlin auf jeden Fall nachvollziehen. Eine eisige Kälte hatte sich passend zum Monatsende eingestellt, glücklicherweise innerhalb der Hauptstadt noch ohne Schnee. Doch so ähnlich, wie auf dem Weg zum Kesselhaus im Prenzlauer Berg, muss es sich für Philippakis damals schon angefühlt haben. Eine wärmende Wirkung erhofft sich das zahlreich erschienene Publikum an diesem Abend hauptsächlich von der elektrisierenden Show der britischen Indie-Band.

4974908187_c8c21219c2Ja, „Indie“… auch so ein Streitfall. Der Mainstream hat diesen Begriff ja schon vor einiger Zeit zerstört, nicht ganz unschuldig daran sind so hibbelige kleine Bands aus dem Vereinten Königreich, die ja in den vergangenen Jahren wie Pilze aus den Böden geschossen kamen. Und irgendwie waren die Foals immer eine Vorzeigeband für all das Publikum, das sie an diesem Abend anzogen. Allerdings sind durchgestytlte nerdbrillen- und feinrip-Hemden tragende Hipster und kleine, sich gern mal hysterisch laut artikulierende H&M-Mädchenmodels dann auch nur ein Teil des Publikums an diesem Abend, denn es zeigt sich: an den Foals sind alle interessiert, ob jung, ob alt, ob herausgeputzt oder unspektakulär… es wird deutlich: die Foals sind keine musikalische Alltagsfliege, kein schneller Hype, kein Schall und Rauch… sie haben Feuer. Und etwas zu bieten. Bereits das Debüt „Antidotes“ aus dem Jahr 2008 zeigte, dass die Band neben tanzflächenfüllenden Hektik-Math-Rock auch noch viele andere Facetten besitzt. Richtig groß, episch und musikalisch feinfühlig wurde es dann aber erst endgültig auf dem diesjährigen „Total Life Forever“, mit dem die Band die auferlegten Vorurteile und Ketten endgültig sprengt und dabei das, aus meiner Sicht, großartigste Album 2010 fabriziert haben. Das Konzert zum Jahresausklang ist somit das Sahnehäubchen auf ein perfektes Jahr. Und glücklicherweise erfüllt dieser Abend auch die an ihn gesteckten Erwartungen, in dem er eine Band präsentiert, die sich und das Publikum in einen euphorischen Rausch spielt und einen denkwürdigen Eindruck hinterlässt. Und mit The Invisible als Vorband schon das nächste große Ding präsentieren. Klingt dann stellenweise sogar nach den Foals, stellenweise auch mal ganz anders. Als ob man eine Jukebox durchschüttelt und schaut, was sie am Ende zusammenhaut. Von der Band mit dem Sänger, der irgendwie aussieht, als hätte sich Blueslegende B.B. King in eine Indie-Band verlaufen, werden wir mit viel Glück 2011 noch etwas hören, selbst wenn es an diesem Abend aufgrund des Sounds im Kesselhaus nicht immer leicht war, sie wahrzunehmen. Bei der Hauptband wurde es dann glücklicherweise einfacher. Da waren wohl Profis am Werk.

Muss ja auch sein, denn der Sound der Foals ist mit „Total Life Forever“ längst der Einfachheit entwachsen und präsentiert sich episch, vielschichtig, voller Flächen und Klangwelten. Wer will, kann das Indie-Progrock taufen. Muss er aber bitte schön auch nicht. Der Saal ist gefüllt, die Luft erwärmt sich an diesem kalten Novembertag endlich und die Vorfreude ist spürbar, als die fünf Londoner um kurz nach 22.15 Uhr die Bühne betreten, dicht gehüllt in jede Menge Nebel und Scheinwerferlicht. Der gute alte „Wir-beleuchten-die-Band-von-hinten“-Trick ist zwar längst nicht mehr originell, aber immer noch höchst effektiv. In den folgenden rund 80 Minuten bieten die Foals dann für jeden etwas. Die Tanzfreudigen dürfen zu den hibbeligen Songs, wie „Balloons“ oder „Cassius“ abgehen, Freunde der gepflegten Träumerei schwelgen bei „2 Trees“ oder „What Remains“. Gefeiert und applaudiert wird aber immer. Zwar merkt man, dass gerade die Gruppe der jungen, tanzwütigen Damen um die 20 dann doch eher gern die „Antidotes“-Tracks hören, aber so hat halt jeder seine Vorlieben. Und irgendwie kommt auch jeder auf den Geschmack, selbst, wenn nicht alles so zündet, wie man es erwartet hat. „Miami“ kommt live nicht so cool rüber, wie auf Platte und auch der Ausbruch bei „After Glow“ war irgendwie spektakulärer in meiner Erinnerung. Und „2 Trees“ funktioniert, allen Flächen und Gitarrenklimpereien zum Trotz, dann doch live nicht ganz so herausragend, wie auf dem diesjährigen Album. Aber ich will hier nicht kleinkarrierter erscheinen, als es muss. Perfektionismus tötet bekanntlich jede Kreativität, das sehen die Foals trotz ihrer gewaltigen Songkonstrukte sicher etwas anders. Wobei Herr Philippakis auch gern mal seinen Einsatz verpasst und ab und an mal das Tempo scheinbar ungewollt schwankt. Man lächelt und macht einfach weiter. Das Publikum ist ordentlich dabei… und das für Berlin. Ich muss der Stadt ja leider gelegentlich bescheinigen, etwas arg teilnahmslos bei Konzerten zu sein, was vielleicht an der chronischen Übersättigung liegt. Aber an diesem Abend ist die Crowd tadellos, auch wenn natürlich zwei Dutzend Menschen tatsächlich noch die Nerven haben während einem Gänsehaut-Song wie „Spanish Sahara“ ihrem Nachbar einen aus ihrer Sicht überlebenswichtigen Klotz ans Bein zu quatschen. Muss man drüber hinwegsehen. Die Intensität, mit welcher man ein Konzert miterleben möchte, bleibt ja jedem am Ende selbst überlassen. Wer sich fürs intensive Erleben an diesem Abend entscheidet, ist definitiv am richtigen Ort. Der Start ist mit „Blue Blood“ und „Olympic Airways“ fulminant, danach gibt’s kurze Euphoriepausen, doch spätestens, wenn die Band am Ende wieder die Klassiker aufgreift, sind sich alle einig. Die Foals nerden so vor sich hin, besonders Yannis, der immer noch so wirkt, als käme er mit der Frontmann-Rolle nicht so ganz klar, zumal ihm sicher 80% der gekreischten Mädchenschreie gelten… von den Jungs ganz zu schweigen. Doch er macht sich und wird dann am Ende des regulären Sets, bei „Electric Bloom“ noch zur Rampensau und erklimmt, mit Drumsticks bewaffnet, die Räumlichkeiten des Kesselhauses, trommelt sich durch Masse, während seine Kollegen munter weiterspielen. Ganz großes Entertainment, das spürbar mitreißt. Zu diesem Zeitpunkt haben die Foals bereits auf ganzer Linie gewonnen. Erst recht mit dem Zugabenblock mit den guten alten Hype-Klassikern „The French Open“, „Hummer“ und „Two Steps, Twice“. Da brennt die Hütte, es zwirbelt und zirpt an allen Ecken und Enden. Fast schon Live-Techno zum Ende hin. Beim Finale gesellen sich sogar noch "The Invisible" im Rausch mit auf die Bühne. Man könnte meinen, die Band feiert einen fulminanten Tourabschluss, dabei war es sogar der Tourstart in Deutschland.

Was bleibt also am Ende? Die Erkenntnis, dass die Foals nach Singles und Alben auch live überzeugen können, immerhin hab ich fast zwei Jahre gebraucht, bis ich sie endlich mal in natura erleben durfte. Ein Happy End sozusagen. Ein vergnüglicher Abend in schönem Ambiente, mit ausgelassenem Publikum und spielfreudiger Band. Noch während des Konzertes kündigt Frontzwerg Yannis an, dass dies für lange Zeit das letzte Konzert der Band in Berlin sein werde. Entäuschte Reaktionen seitens des Publikums, gefolgt von wohlwollendem Applaus, als Philippakis gleichzeitig ankündigt, man werde bald ein neues Album aufnehmen. Rastlose Rabauken sind das also. Angesichts einer so astreinen Leistung, wie "Total Life Forever" wird es die Band sicher schwer haben mit dem nächsten Werk. Aber gleichzeitig umweht das Ganze auch ein gewisses Gefühl der Gelassenheit, denn was sollen die eigentlich wirklich falsch machen können? An diesem Abend im Kesselhaus jedenfalls nichts. Und so ist das eigene Herz am Ende dann doch eine spürbare Spur wärmer, als wir wieder in die eiskalte Großstadtnacht entlassen werden. Und das ist ja in diesen Wintertagen allein schon Gold wert.

Setlist:

01 Blue Blood
02 Olympic Airways
03 Total Life Forever
04 Cassius
05 Balloons
06 Miami
07 What Remains
08 After Glow
09 2 Trees
10 Spanish Sahara
11 Red Socks Pugie
12 Electric Bloom

13 The French Open
14 Hummer
15 Two Steps, Twice


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