Montag, 28. Februar 2011

In National Veritas

Eine Band, wie ein guter Wein. Mit den Jahren werden The National immer besser. So war das einzige Deutschlandkonzert vergangenen Freitag in Berlin ein audiovisueller Hochgenuss für Musikliebhaber jeden Alters. Eine offene Liebeserklärung.

PS: Die wunderbar stimmungsvollen Fotos stammen aus dem Blog von Fotograf David Jacobs. Bitte alle vorbeischauen und gut finden!

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Ein Gläschen Wein in Ehren kann und soll man ja bekanntlich nicht verwehren. Matthew Berninger weiß um diese Lebensweisheit Bescheid und geht ohne geöffnete Flasche und gefülltes Glas erst gar nicht auf die Bühne. Stil muss sein. Becks ist mehr was für diese jungen Indie-Rock-Spunde, Berninger wird dieses Jahr 40, kann also schon mal einen Gang hochschalten. Tatsächlich wirken The National aus Ohio mittlerweile wie gestandene Männer, die nichts mehr aus der Ruhe bringen kann. Schon irgendwie seit zehn Jahren dabei, aber erst seit Kurzem mit einem Status, dass man auch mal eben die Berliner Columbiahalle ratzfatz ausverkaufen kann. Die Nachfrage hat das Angebot längst hinter sich gelassen, die Fanzahl von The National wächst mit jedem neuem, qualitativ hochwertigem Output um ein Vielfaches. Besonders die letzten beiden Alben „Boxer“ und „High Violet“ haben der Band zu einer Reputation verholfen, die sie durch alle Musikmagazine und Hörerschichten zu Lieblingen der, na ja, Massen abseits der großen Massen machen. Keine große, bunte Show, keine falschen Versprechungen von Jugend oder der konkrete Drang zum Megahit… The National machen seit Beginn ihrer Karriere hochwertigen, handgemachten, zutiefst gefühlvollen Indie-Rock, der durch die Bank weg funktioniert und authentisch rüberkommt. Eben auch, weil man dem tiefen Bariton von Matt Berninger jede Qual, jedes verzweifelte Leiden, aber auch jedes romantische Liebesversprechen abkauft. Die Stimme wird zum Dreh- und Angelpunkt traumhafter Songs. Die Welt scheint dies, langsam aber sich zu raffen. Ob das gut oder schlecht ist, sei mal dahin gestellt.

So gehen The National in diesem Frühjahr noch einmal auf eine Ehrenrunde bei ihrer Tour zum letztjährigen Meisterwerk „High Violet“. Alle dürfen noch mal kommen, wenngleich leider nicht alle Karten bekommen haben und die „Suche Karten“-Schilder vor Konzertbeginn inflationär auf den Straßen um die Columbiahalle herum vorzufinden waren. Drin wird gefeiert. Dezent. Mit Wein. Und auf den Erfolg. Und die Fans. Und Geburtstag. Support-Songwriterin Sharon Van Etten gratuliert ihrer Mutter, die anwesend ist. Sie selber hat Punkt Mitternacht Geburtstag und macht ihre Show recht gut. Musikalisch ähnlich wie die Hauptband gewinnt Van Etten die Sympathien spürbar für sich. Auch Aaron Dessner kommt mal eben auf die Bühne und spielt mit. Kurze Zeit später kommt er auch wieder, hat seinen Bruder und den Rest der Band dabei, Matt Berninger die obligatorische Weinflasche. Die wievielte es wirklich ist, weiß wohl nur er selbst, wenngleich ich sein Wesen nicht nur auf den Vino festlegen würde, sondern vielleicht auf die Leidenschaft an seinem Job an sich. Man beginnt die Show sehr ruhig, mit „Start A War“ vom „Boxer“-Album, der schönsten persönlichen Kriegsdrohung der Welt. Und von da an wird die Columbiahalle in Berlin in melancholische Glückseeligkeit getaucht und erst knapp anderthalb Stunden später wieder aus dieser rausgerissen. Angenehmes Licht, stimmungsvolle und nicht-ablenkende Videoprojektionen und eine Band, die es liebt zu spielen. Allen voran Berninger himself, der stets so wirkt, als würde er zwischen unterdrückter Rampensau und verpeiltem Traumtänzer hin- und herwandeln. Seine Stimme bleibt das Signalfeuer, das durch die Songs trägt, die Band spielt hervorragend. Manchmal sehr laut, manchmal eher gefühlvoll. Und Bläser hat man auch dabei. Was will das Musikhörerherz mehr? Musikalisch werden kaum Wünsche offen gelassen. Das Augenmerk liegt verstärkt auf den Songs von „Boxer“ und „High Violet“, aber gelegentlich verirrt sich auch mal was Älteres drunter. Mut zur B-Seite wird dabei mit „Wasp Nest“ oder „You Were A Kindness“ ebenfalls gezeigt. Und Mut zur Lücke, indem man, sehr zum Unwohl meiner Wenigkeit, den 2007er „Hit“ „Mistaken For Strangers“ auslässt. Aber das ist der einzige- und das stimmt tatsächlich- Wehrmutstropfen. Ansonsten ist die Auswahl der Songs eher nebensächlich. Der musikalische Output des Ohio-Fünfers ist so hochwertig, dass das zu verschmerzen ist. Vielleicht ist es auch von Vorteil, wenn man, wie ich, noch nicht sooo lange in der Band und ihrer Musik drinsteckt und sich somit weniger auf das Mitsingen jeder Textzeile und das sehnliche Herbeifiebern alter Favoriten konzentrieren muss, sondern vielmehr jedes Lied so gut es geht genießt. So wird der Abend zum unvergesslichen Erlebnis, egal, ob man nur Gelegenheitshörer ist oder zu der Gruppe feuriger, kroatischer Fans gehört, die ihrer Freude ebenfalls lautstark Gehör verschafften.

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The National werden also in der Tat immer besser. Und auch Matt Berninger lässt gern mal die Rampensau heraus, wenngleich der Mann, der irgendwie immer mehr aussieht, wie ein cooler Physik-Professor, teilweise so wirkt, als wüsste er selber nicht genau, was er da macht. Und so fragt sich der Zuschauer dann doch gelegentlich, ob Berninger den Mikrofonständer dann in seinem Wahn gleich in die Masse schmeißen wird oder einfach nur ein paar artistische Tricks damit vorführen will. Glücklicherweise entscheidet er sich für die zweite Variante. Der Stagemonitor hingegen kommt weniger gut weg. Und auch ein Weinglas muss dran glauben. Die Roadies schieben eh Sonderschichten, denn Berninger scheint wie der gute Morrissey ein Verweigerer des kabellosen Mikros zu sein, weshalb man immer mal ordentlich Schnur nachziehen muss. Besonders, wenn Matthew seine immer wieder gern gesehenen Ausflüge ins Publikum unternimmt. Und auch wenn der bärtige Frontmann zwischendurch bei „Mr. November“ mal verloren erscheint, so schafft er es zum Ende wieder auf die Bühne. Der Dank an das Publikum fürs sichere Nachhausebringen wirkt überzeugend. Generell wirkt man sehr dankbar für die spürbare Liebe, die das Publikum seinem musikalischen Rahmenprogramm entgegenbringt. Man gibt es gern zurück. Und das kommt an. Bei der Zugabe und „Terrible Love“ mache ich die Erfahrung dann ganz persönlich, denn natürlich steigt Berninger genau vor meiner Nase auf die Barrikaden. Seine Pläne bleiben aber undurchsichtig. Ich halte seine Hand, er steht auf dem Geländer. Er beugt sich nach vorn, er fällt fast nach hinten, er schaut mich an, er grinst, er singt, er wirkt dezent abwesend. Es bleibt mir nur seine Hand zu halten und so einen dauerhaften Wirbelsäulenschaden bei ihm zu verhindern. Ja, ein magischer Moment für die paar Sekunden, bis er weiter zieht und die Barrikade konsequent bis zum Ende entlang balanciert. Auch das meistert Berninger. Anschließend wird auch noch der restliche Wein geteilt und zusammen mit drei Bechern an meine Begleitung und mich gereicht. Kann man als Zufall interpretieren oder als Dankeschön fürs Stützen. Ich überlass das meiner Fantasie. Und so wird der Rest des herben spanischen Tropfens verteilt und dabei noch einmal auf die Bühne geschaut, wo die Band, ganz ohne Strom (also auch Mikros) und zusammen mit der Vorgruppe eine herzerweichende Version von „Vanderlyle Crybaby Geeks“ zum Besten gibt, welche den fulminanten Höhepunkt dieses Konzerts markiert. 3000 Leute werden zum Chor und die Halle wird zum kleinen Raum, in dem einfach nur ein paar Menschen ein wunderschönes Lied singen. Wenn es irgendein Argument benötigt, diese Band so hochzureden, wie es gern getan wird, dann ist es dieser Moment. Und gerade, wenn man, wie ich, schon jahrelang viel auf Konzerten erlebt hat und meint, man könnte eh nicht mehr überrascht werden, so sind es solche Momente, die einen daran erinnern, warum man dies alles macht, warum man stundenlang in der Kälte und in der Halle steht, all das Geld ausgibt und diese Musik hört. Dieses Konzert und Bands wie The National sind die beste Ausrede dafür. Und die spontan zur Blumenvase umfunktionierte Weinflasche von Matt Berninger, die gerade auf dem Tisch neben mir steht dient da ganz gut als alltägliche Erinnerung.

Setlist (= ohne Gewähr*)

01 Start A War
02 Anyone’s Ghost
03 Baby, We’ll Be Fine
04 Bloodbuzz Ohio
05 Slow Show
06 Conversation 16
07 Squalor Victoria
08 Afraid Of Everyone
09 Sorrow
10 Apartment Story
11 Lemonworld
12 Abel
13 Wasp Nest
14 England
15 Fake Empire

16 You Were A Kindness
17 Mr. November
18 Terrible Love
19 Vanderlyle Crybaby Geeks

* = d.h., ich hab keine genaue Ahnung, mir das auch nicht mitgeschrieben oder eine exakte Quelle im Internet gefunden. Ich weiß auch nicht, ob die Reihenfolge so stimmt, aber diese Songs wurden in jedem Fall gespielt. Ist nur zur Orientierung.


Abschließend noch eine Live-Aufnahme, mit besagtem Handkontakt ab Minute 1:10.

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