Montag, 7. März 2011

Schall und Nebel

Noch einmal mit Gefühl. Beim Tourstart in den Hamburger Docks spielten die alten New-Wave-Helden von Interpol vergangenen Donnerstag groß auf. Wenngleich alle Begeisterung nicht über die Kompliziertheit der aktuellen Bandsituation hinwegtäuschen kann. Ein leicht verspäteter Konzertbericht…

Ja, wir alle werden nicht jünger und im Prinzip kann man das ja nicht aufhalten und so muss man sich dann doch mit Dingen abfinden, die man früher auf Teufel komm raus nicht so wahrhaben wollte. Man wird ordnungsliebend, dezent spießig, liest dann doch öfters mal eine seriöse Tageszeitung als die Intro (von deren Homepage ich mir dennoch mal eben das Foto von Herrn Banks "geliehen" habe. Danke!) und beginnt hinter die zahlreichen Fassaden von Jugend- und Popkultur zu blicken. Und so sehr man diese Menschen hasste, die den guten alten „Früher war alles besser“-Spruch von sich geben, jetzt ertappe auch ich mich dabei, wie ich gelegentlich zu dieser Floskel greife. Furchtbar eigentlich. Noch furchtbarer, wenn das nicht nur so eindeutige Sachen, wie MySpace oder von mir aus die Black Eyed Peas betrifft, sondern auch lieb gewonnene, musikalische Institutionen, wie Interpol aus New York City. Viel hat sich seit meinem letzten Konzert vor vier Jahren getan. Persönlich, popkulturell und auch bei den Mannen um Paul Banks. Aber fangen wir mal kurz beim Anfang an…

16918_largeEs passiert ja öfters mal, dass Bands im Laufe ihrer Karriere einzelne Mitglieder verlieren. Manchmal schmerzt das mehr, manchmal weniger. Pünktlich zur Fertigstellung des selbstbetitelten Viertwerks verließ Carlos Dengler letztes Jahr Interpol und ließ ein etwas lädiertes Trio zurück. Über das musikalische Gewicht von Dengler innerhalb der Band gibt es unterschiedliche Aussagen. Manche sahen in ihm das musikalische Genie der Band, andere vermuteten, Dengler war sichtlich unterfordert, weil Gitarren-Mastermind Daniel Kessler zuletzt sogar ganze Basslinien allein komponiert und eingespielt haben soll. Widersprüchlich waren auch die Meinungen zum Album. Für viele Fans eine dezente Enttäuschung, konnte das Album „Interpol“ die Kritiker einmal mehr überzeugen. Die Wahrheit verliert sich im Nebel. „Interpol“ ist sicher das schwächste Album der Band, wenngleich man stets das hohe Niveau, auf dem wir hier meckern einbeziehen sollte. Die Band existiert nun seit vergangenem Sommer live zu fünft, allerdings stieg Ersatzbassist Dave Pajo jüngst schon wieder aus, so dass sich nun erneut ein neuer Mann an Denglers Instrument zu schaffen macht. Brad Truax feierte an diesem Abend seine Tourpremiere, aber letztendlich ist das auch egal. Die Position ist ersetzbar geworden, die Einheit, die Interpol musikalisch und optisch mit Carlos D. zusammen symbolisierte, scheint aufgebrochen. Was bleibt ist eine Band, die ihren Weg erst noch finden muss. Also, musikalisch. Denn da sind Denglers Ideen, wie groß sie am Ende auch gewesen sein mögen, immer noch präsent, zumal die wirklich entscheidende Aufgabe- das erste Album zu dritt- erst noch bevorsteht. Live muss sich diese Band allerdings nicht mehr finden. Da funktionieren Interpol an diesem Abend in den Hamburger Docks immer noch wie eine gut geölte Maschine, bei der alles sitzt, wo es sitzen muss. Der etwas blasse Keyboarder und Backing-Vokalist, dessen Namen mir zu recherchieren jetzt etwas zu müßig war, ist dabei genauso verzichtbar, wie Truax, der seinen neuen Job an diesem Abend gut macht, aber auch problemlos durch einen Roadie hätte ersetzt werden können. Namen sind Schall und Rauch. Oder in diesem Fall eher Nebel. Das seit zehn Jahren funktionierende System „Beleuchtung-von-hinten-und-viel-Nebel“ wird auch 2011 von der Band als essentielles Stilmittel genutzt, auch um die Position rechts außen etwas zu überdecken. Ansonsten alles beim Alten. Und viel Altes vor allem!

Nach einem gnadenlos übersteuertem Support-Act, in Form des Experimental-Indie-Poppers Matthew Dear, des gute Songs durch den miesen Sound etwas eingebüßt haben, betritt die Band kurz nach halb 10 die Bühne. Applaus ist vorhanden. Und vereinzelt verwunderte Kommentare zu Banks neuem Kurzhaarschnitt, der, kombiniert mit leichtem Vokuhila und Oberlippenbart, etwas White-Trashig anmutet. Na ja, Haare sind ja für das musikalische Gelingen nicht von essentieller Bedeutung. Gleiches gilt auch seit Jahren für die Band bezüglich Publikumsansagen. Auch diesmal gibt sich Banks wortkarg, grinst aber durch die Bank weg, wie ein kleiner Schuljunge… was dann wieder zur Frisur passt, allerdings nicht unbedingt zur Musik. Die ist seit Karrierebeginn bewusst düster, verspielt, leicht kryptisch und dabei trotz dieser Eigenschaften stets auch etwas eingängig. Das merkt man schon beim Opener „Success“. Anschließend serviert die Band anderthalb Stunde lang ein paar ihrer besten Songs. Die Auswahl gestaltet sich bei einem solch hochwertigen Back-Kalalog eh schwierig genug. Vom neuen Album spielt man ausschließlich die qualitativ bessere erste Hälfte. Die B-Seite wird komplett ausgespart, was dann doch etwas seltsam anmutet. Die neuen Songs wirken etwas träge und wirken gerade zwischen all den alten Songs dann doch etwas leicht zweitrangig. „Barricade“ wird die Band live nie so gut hinbekommen, wie auf Platte und „Summer Well“ leidet ein wenig an dem ohnehin etwas schwammigen Sound in der Halle. Lediglich „Lights“ entschädigt dann und gewinnt auch dank markanter Lichtshow live noch mal ordentlich dazu. Ein Monster von Song. Sehr überraschend wirkt die Vernachlässigung des dritten Albums, „Our Love To Admire“, welches lediglich durch zwei Songs vertreten ist, das lässige „Rest My Chemistry“ und die immer noch sehr mittelmäßige Single „Heinrich Maneuver“. Ist das Album bei der band etwa in Ungnade gefallen? Die beiden Erstlinge „Turn On The Bright Lights“ und „Antics“, welche einst die Meslatte so hoch legten, stehen hingegen immer noch hoch im Kurs bei den New Yorkern. Sie werden mit jeweils fünf bzw. sogar sieben Songs bedient. Besonders letzterer Zustand freut mich als riesiger Fan von „Antics“ sehr. Denn als Songs wie „Narc“ und mein persönlicher Band-Favorit „Take You On A Cruise“ gespielt werden verschwinden auf einmal die Jahre und das Alter. Es ist tatsächlich, so traurig nostalgisch es klingt, „wie früher“. Man erinnert sich wieder, wie einen diese Songs einst das Leben gerettet und leichter gemacht haben und es ist schön zusehen, dass die Gänsehaut auch heute noch auf die einstige Brillanz dieser Band immer noch anspringt. Springen tun dann auch vereinzelte, indie-disko-sozialisierte Menschen zu den alten Gassenhauern „Evil“, „Obstacle #1“ oder „Slow Hands“. Gehört sich ja eigentlich nicht, muss aber dann doch irgendwie sein. Es geht aber auch in die Beine.

Als Fan freut man sich dann auch, mal wieder „NYC“ und „The New“ im Zugabenblock live zu hören. Und man freut sich die alten Helden wieder zu sehen, wenngleich sich das Bild auf der Bühne geändert hat. Der Fokus verschiebt sich nach links, Banks bleibt im Zentrum, Sam Fogarino im Hintergrund und Daniel Kesser gibt den stets gut gekleideten und tänzelnden Leadgitarristen, dessen Sound in der Tat mittlerweile einzigartig erscheint. Kessler, von vielen als das wahre Gehirn der Band angesehen, hat seinen Stil in den letzten Jahren perfektioniert. Sowohl, was das Gitarrenspiel, als auch die fast schon choreographiert anmutenden Tanzschritte angeht. Und doch fehlt da einer irgendwie an der Seite. Aber vielleicht geht es auch nur mir so. Vielleicht hätten wir Fans das neue Album ganz anders aufgenommen, wenn Dengler geblieben wäre. Nämlich als Chance auf einen Neuanfang. Der kommt jetzt gezwungenermaßen. Dieses Jahr tourt die Band in dieser seltsamen Interimslösung noch durch den Globus, doch was kommt danach? Interpol bleiben ein Trio, das zeigt auch dieser Abend, als die Band sich bewusst nur zu dritt verabschiedet, als die Mitmusiker schon längst die Bühne verlassen haben. Vielleicht wird das neue Album, welches, glaubt man aktuellen Aussagen tatsächlich kommen soll, der Beginn einer neuen, spannenden Ära, vielleicht aber auch der finale Sargnagel für eine Band, die sich stets mit ihrem qualitativ hochwertigem Output und den damit verknüpften Erwartungen ihrer Fanbasis messen lassen muss. Ich weiß selber keine perfekte Lösung für den augenblicklichen Schwebezustand der New Yorker. Vor Jahren, lange bevor Carlos ausgestiegen ist, meinte ich mal so semi-ernst, sie müssten sich eigentlich auflösen, weil sie das bereits Geschaffene eh nicht mehr toppen könnten. 2011 hat sich an dieser Aussage eigentlich nichts geändert, wenngleich der Teil in mir auch nicht verstummen möchte, welcher diese Band in Zukunft noch mal live erleben möchte. Mit all den Nebel, all den großen und kleinen Gefühlen, all der Erinnerung und all der Aufregung. Gern auch mit neuem Material. Etwas Optimismus ist also angebracht. Paul Banks würde das mit einem Lächeln quittieren.

Setlist:

01 Success
02 Say Hello To The Angels
03 Narc
04 Hands Away
05 Barricade
06 Rest My Chemistry
07 Evil
08 Length Of Love
09 Lights
10 C’Mere
11 Summer Well
12 Take You On A Cruise
13 The Heinrich Maneuver
14 Memory Serves
15 Obstacle #1

16 NYC
17 The New
18 Slow Hands
19 Not Even Jail


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