Mittwoch, 11. Mai 2011

Disco Del Mar

The Sound of Fernweh. Das Zweitwerk der Friendly Fires heißt „Pala“ und will um jeden Preis ein Lebensgefühl vermitteln, das fast schon zu euphorisch und illusorisch ist, um wahr zu sein. Dennoch gelingt das Unterfangen, auch weil die Band diese Nummer konsequent durchzieht.

51KQsMbSn3L-_SL500_AA300_Da ich es erst mit einem halben Jahr Verspätung entdeckt hatte wurde das selbstbetitelte Debüt der Friendly Fires aus England dann doch nicht zu meinem Sommer-Album des Jahres 2008, obwohl das gepasst hätte. Doch auch im tiefen deutschen Winter konnte ich mich der Faszination dieser Platte nur schwer entziehen. Zu frisch, zu melodieverliebt, zu hitsicher war dieses Werk, weshalb es aus meiner Sicht auch zu den kurzweiligsten Pop-Alben der letzten zehn Jahre gehört. Die Messlatte liegt also ohnehin schon hoch. Nun kommt der Zweitling „Pala“, pünktlich zum Sommer. Und diesmal bin ich von Anfang an dabei. Das Timing stimmt... und auch die Musik. Zwar ist der zweite Streich des Trios nicht ganz so treffsicher wie das Debüt und etwas arg glatt gebügelt, aber das immerhin in einer Konsequenz, dass zumindest deutlich werden kann, was die Band damit bezwecken will.

Noch stärker als das erste Album, ordnet sich „Pala“ einer optimistischen Grundstimmung unter. Das ganze Album wirkt hochgradig rhythmisch, euphorisch und insgesamt eher leicht und hell, als düster-schwermütig. Die noch vorhandenen Ecken und Kannten hat Produzent Paul Epworth zu einem formatradio- und tanzflächenfreundlichen Pop-Korsett zusammengeschnürt. Die elf Tracks sollen zum Bewegen einladen. Am besten draußen, am besten im Sommer und wenn schon, dann gleich in maritimer Nähe. Man schielt eher Richtung Ibiza-Strandbar, als in einen stickigen Londoner Indoor-Club. Sänger Ed MacFarlane singt mit butterweicher Stimme hymnenhaft von der Flucht ins Blaue, dem wunderschönen Wetter auf Hawaii oder den verlockenden Lichtern der Stadt. Und von der Liebe. Sowieso. Lyrisch flachen die Friendly Fires etwas ab, ordnen sich der Musik unter. Man bleibt positiv, Dance-Musik ist ja bekanntlich nicht für lyrische Tiefe bekannt. Und so entstehen im Kopf des Hörers genau die Bilder, welche die Band suggerieren möchte. Endlose Strände, blaue Lagunen, Schrimchendrinks zum Sonnenuntergang und flackerndes Disco-Licht im Nachtleben. Jacken und Pullover unerwünscht . Ekstatischer Eskapismus. Der Sound dazu gibt sich bewusst elektro-poppig und dance-lastig, wenngleich dadurch auch ein wenig der Charme des Debüts verloren geht. Dazu muss man sich einfach noch mal die Unterschiede zwischen der Album-Version von „Skeleton Boy“ und der damals von Epworth produzierten Single-Version vor Augen führen. Genau das hat er jetzt mit dem gesamten Sound der Band angestellt. Die Elektronik wird in den Vordergrund gerückt, die immer noch prägnanten Samba- und Percussion-Momente werden ein wenig zurückgeschraubt. Gitarre, Bass und Schlagzeug sind zwar prinzipiell noch erkennbar, verlieren den Kampf gegen breite Synthiesoundflächen, früh-90er-House-Sequencer, Rave-Pianos und andere Spielereien allerdings kontinuierlich. Das kann man als Schwäche auslegen, muss man aber auch nicht unbedingt. Dazu beherrschen die Friendly Fires und ihr Produzent das Handwerk zu gut. Wer sich die letztjährige „Bugged Out“-Compilation der Band angehört hat, den wird der Schritt Richtung kommerziell ausgerichteten Elektro-House-Pop auch nicht wirklich überraschen.

Falls „Pala“ als Konzeptalbum wahrgenommen werden soll, dann ist es wirklich ein Tag im Nachtleben einer sommerlichen Urlaubsinsel. Dem Wunsch nach Flucht und einer nostalgischen Reise in die Hochphase der Rave-Kultur („Live Those Days Tonight“) folgen Ankunft und Euphorie in der neuen Umgebung („Hawaiian Air“), entspanntes Cafe-Del-Mar-Chillen („Pala“), der Aufbruch in die Nacht („Show Me Lights“), große Party-Euphorie-Momente („True Love“, „Pull Me Back To Earth“), sowie ein nachdenklicher, aber glücklicher Ausklang zum Sonnenaufgang („Helpless“). Abschließend wird auch noch mal ein Feuerwerk im wörtlichen Sinne gezündet. Meeresrauschen, Vogelzwitschern und Co. werden auf Albumlänge ohnehin immer wieder strategisch clever eingebaut. Ja, es ist in der Tat ganz geschicktes Kopfkino, dass die Friendly Fires da betreiben. Nicht sonderlich subtil, dafür aber durchaus recht effektiv. Popaffine Menschen, die wie ich schon einst auf das Debüt reinfielen, werden sich trotz aller Bedenken und leichter Defizite auch diesmal diesem unglaublich dringendem Charme hingeben. Für den ganzen Rest ist das vermutlich einfach mal zuviel Schmalz und zu wenig Tiefgang. Aber auf den kommt es halt nicht immer an. Und eine solche Band wollen die Friendly Fires eh nicht sein. Schon gar nicht 2011. „Pala“ ist kompromissloser Euphorie-Pop, hoffnungslos optimistisch, gnadenlos naiv, aber gerade deshalb so effektiv und ansteckend. Die Songs sind durchgängig gut bis sehr gut und in Einzelfällen sogar brillant. Man versucht das Debüt in seiner Form nicht komplett zu kopieren, sondern geht einen leicht veränderten Weg. Niemand ist gezwungen, diesen ebenfalls einzuschlagen, aber sollte man eh anfällig für Eskapismusgedanken und das unbändige Gefühl von Freiheit und Lebensfreude sein, dann kann dieses Album nicht nur der Soundtrack für einen einzelnen Sommer sein. Ich bin dann mal offiziell verliebt.

nobono

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