Kurz und Bündig - 03/2011

Does It Offend You, Yeah? – Don’t Say We Didn’t Warn You
Das nenn ich mal konsequent. Wenn eine Band schon einen so bescheuerten Bandnamen mitsamt warnendem Debütalbumtitel („You Have No Idea What You’re Getting Yourself Into“) hat, dann führt man die Story auf dem Nachfolger einfach konsequent fort. Glücklicherweise wurde diese Warnung von einer Mehrheit der Menschen ignoriert und so überraschte das Debüt der britischen Elektro-Punker auch mit allerhand verschiedener Stile. In den letzten 3 Jahren hat man sich nun weltweit den Arsch abgespielt, viele Fans hinzugewonnen, gelernt, die eigenen Instrumente zu spielen und das ganze nun auch auf Platte zu zeigen. Und das hört man der neuen Platte auch an. Die mittlerweile fünfköpfige Band klingt jetzt wesentlich professioneller, also nach Bühne statt nach Wohnzimmer. So ist Album Nr. Zwei zwar nicht mehr ganz so spröde, dafür aber immer noch druckvoll, sehr laut und prädestiniert dafür, die Festivalbühnen dieses Globusses in Schutt und Asche zu legen. Das ist das Ziel dieser Band, dafür existiert sie, das kann sie auch so gut, wie aktuell kaum eine zweite. Schön, wenn neben den ganzen Uffe-Zwölf-Tracks auch immer noch Zeit für kleine Popsongs („Pull Out My Insides“) und sogar die erste Ballade („Broken Arms“) bleibt. Das angebliche Zeitgeistphänomen von 2008 wird auch 2011 noch funktionieren. Und wen das auf Platte nicht überzeugt, der sollte sich die Truppe dringend mal live anschauen.
Video "The Monkeys Are Coming"
Lykke Li – Wounded Rhymes
Es ist zwar nicht eine so wichtige Frage, wie die nach dem neuen Bayern Coach oder der Abdankung von Gadaffi, aber dennoch sei mal in die Runde geworfen, welche weibliche Künstlerin sich denn 2011 die Pop-Krone aufsetzen möchte. Vorjahressiegerin Robyn hat ordentliche Elektropop-Fußspuren hinterlassen. Doch hinter dem Disconebel, direkt aus den schwedischen Wäldern kommt schon eine potentielle Nachfolgerin angeschlichen: Lykke Li präsentiert ihr zweites Album, dass dort weitermacht, wo das Debüt aufgehört hab. Das heißt: dezent melancholische, aber doch irgendwie niedliche und eingängige Power-Folk-Pop-Songs, die zwar manchmal etwas experimentell wirken, aber dabei auch stets im Formatradio funktionieren könnten. „Wounded Rhymes“ backt dann auch ähnliche musikalische Brötchen, wie „Youth Novels“, ist insgesamt natürlich aber wesentlich fetter und weniger puristisch instrumentiert. Hymnen, schwermütige Balladen und leichte Popsongs in einem Guss, ohne dass es störend wirkt. Bei den Kolleginnen Bat For Lashes, Florence oder Glasser hat das ja auch schon funktioniert. Nix wirklich Neues, nur teilweise etwas Besonderes. Souveräne Thronbesteigung sieht anders aus. Und im Hintergrund setzt schon Gaga zum Sprung an.
Stream auf Soundcloud
Beatsteaks – Boombox
Die deutsche Wirtschaft schätzt ihre Exporte. Wir haben Qualität, seien es Autos, Bier oder diverse technische Geräte. Deutschland steht für Qualität. Da weißte, was de hast. Mit unseren Musikern ist das ja auch ähnlich. Da schreit ja schon jemand „Langeweile“, wenn bspw. Wir Sind Helden sich auf einmal entscheiden, nicht mehr wie eine hippe NDW-Coverband in den frühen 20ern zu klingen. Unverschämt! Nein, bitte alles so, wie gehabt. Ähnlich ist das auch bei den Beatsteaks. Die machen zwar musikalisch immer den gleichen Rock/Pop-Mix mit Variationen, sind aber dabei seit Jahren so unverschämt sympathisch und locker, dass man das den Berlinern nie zum Vorwurf machen kann. Live sind sie sowieso ne Macht, selbst wenn einem „Hand In Hand“ und Co. mittlerweile zum Hals raushängen. Aber diese Band hat sich ihren Erfolg ja durchaus erspielt. Da lässt sich auch nicht mehr dran rütteln. Auch „Boombox“ hat wieder eine handvoll schnittiger Hits, „Milk & Honey“ oder „Automatic“ sind Hits, die man erträgt und welche die Massen zum Herumspringen und Grölen motivieren wird. Alles beim Alten. Warum also über die Platte an dieser Stelle überhaupt sprechen? Nun ja, weil ich halt auch ein Herz für die Beatbuletten habe und man deren Arbeit an dieser Stelle auch mal würdigen kann.
"Automatic" zum Anhören
Hercules And Love Affair – Blue Songs
So, jetzt können mich alle Indie-Nerds und Spex-Redakteure gern lynchen oder ihre Clubmate auf mir verschütten, aber ich halte Hercules And Love Affair für ziemlich überbewertete, zu großen Teilen langweilig, klischeebeladene Gay-Disco-Einheitssuppe. Sicher, ja… „Blind“ war/ ist ein Riesen-Hit, zwei, drei weitere Tracks des Debüts damals auch, aber erinnert sich noch jemand an den Rest vom Discofest? Ähnlich wird es mit „Blue Songs“ laufen. Ja, „Painted Eyes“ ist ein schwungvoller Start und „My House“ zelebriert den Früh-90er-Disco-House so gut, wie es vielleicht zurzeit nur die wesentlich besseren Azari & III hinbekommen. Und gegen die balladesque Neuinterpretation des alten Sterling Void/ Pet Shop Boys-Überhits „It’s alright“ am Ende hab ich auch nichts, aber der Rest? Weniger Musik für die Tanzfläche als vielmehr langweilig dahinplätschernde Fahrstuhlmusik. Und selbst, wenn dieser Fahrstuhl ne Discokugel besitzt und mit Hipstern gefüllt ist, so bleibt er halt nur ein Fahrstuhl. Mastermind Andrew Butler macht das ja ganz gut und die neuen Sänger passen ja, wie die Faust aufs Auge, aber dass dies jetzt das größte Ding seit… na ja, dem Tod der Disco-Musik Anfang der 80er sein soll, will und kann ich nicht akzeptieren. Demnächst kommt das Debüt von Holy Ghost! Oder halt die bereits erwähnten Azari & III. Oder diese Beth Ditto EP. So viel Alternativen. Um welche Platte ging’s jetzt gleich noch mal?
Album-Stream auf Soundcloud
Destroyer – Kaputt
In 9,5 von 10 Fällen sollte man auf die Frage, was man hinter Titel und Interpret dieses Albums erwartet, „Irgendwas mit Metal“ erhalten. Alles andere würde erstaunen, passt doch, wie die Faust aufs Auge. Am besten spielt man den befragten Personen auch gleich anschließend noch das erste Stück aus dem guten Album vor. Münder werden offen stehen, Pupillen werden sich weiten… sanfte Beats, weiche Flächen, butterweicher Gesang und jede Menge Saxophon. „Kaputt“ ist das genaue Gegenteil von dem was man erwartet. Destroyer, das ist die Band des kanadischen Singer/Songwriters Dan Bejar, die es schon seit den 90ern gibt, welche aber bisher irgendwie nie bis zu meinen Gehörgängen vorgedrungen ist. Nun aber also. Ich weiß daher auch nicht, was die Band früher so fabriziert hat, aber dass was sie aktuell machen ist ein musikalischer Traum, voll ergiebiger Schönheit. Man kann das auch gern als retroesquen Easy-Listening-Folk bezeichnen, muss man aber nicht. Es könnte auch einfach wundervolle, durchweg entspannte Popmusik sein. Lange haben Gesang, Synthies, Gitarre und vor allem das oft verhasste Saxophon nicht mehr so schön zusammen gespielt. Haben sie das überhaupt schon mal? Fast wirkt es so, als wäre „Kaputt“ irgendwann einmal aus der Zeit gefallen, als käme es aus den 80ern, wenngleich es für dieses Jahrzehnt allerdings viel zu hochwertig erscheint. Neun, teils sehr lange und durch die Bank weg gelungene Songs, die sich klangtechnisch alle sehr gefühlvoll, entspannt und unglaublich relaxt geben. Ja, in den Fahrstühlen, wo diese Musik fährt, würde ich gern ewig hin und her fahren. Wahlweise auch verschneite Winterlandschaften oder sonnige Strände… irgendwie scheint „Kaputt“ überall zu funktionieren. Ein ganz und gar nicht heimlicher Favorit auf das Album des Jahres. Bereits jetzt.
Stream via Hypem

Nun also doch. Lange hatte man nichts von den Thirteen Senses gehört, die einst zu einer der hoffnungsvollsten Bands des Vereinten Königreichs zählten. Doch das war zu einer Zeit, als die Musikwelt vor ca. 7 Jahren noch ein wenig anders aussah. Franz Ferdinand waren gerade dabei alles über den Haufen zu werfen und von Nur Rave, Twitter oder Lady Gaga war noch keine Spur. Alles irgendwie übersichtlicher. Die von Travis und Coldplay losgetretene Britpop-Welle der späten 90er flaute also gerade ab. So gesehen waren die Thirteen Senses aus Cornwall sogar relativ spät dran mit ihrem 2004er Debüt „The Invitation“. Dennoch konnte man damit einige Kritiker- und Fanherzen für sich gewinnen. Besonders meines, denn ich bin nach wie vor ein riesiger Verehrer dieses traumhaften Meisterwerkes, dass ich ganz klar zu den qualitativ besten Debüts der letzten zehn Jahre zähle. Für die Band war also alles drin. Snow Patrol und James Blunt hätten sie locker in der Pfeife rauchen können, aber im Anschluss lernte man dann leider die Schattenseiten der Industrie kennen. Von Hundert auf Null. Der Nachfolger „Contact“ war ein kolossaler Flop, der es gerade mal so in die UK Top 100 schaffte. Dabei hatte das Album durchaus helle Momente, aber die Band hatte am Ende irgendwie den roten Faden darauf verloren. Schlechte Promotion tat ihr übliches, so dass die Band sang- und klanglos ihren Plattenvertrag und viele Fans verlor. Ein Schock, von dem man sich immer noch erholt.
Die Stimme wird zum Dreh- und Angelpunkt, bei beiden Alben, wenngleich Fokus und Umsetzung variieren. James Blake zeigt auf seinem selbstbetitelten Debüt vollen Einsatz, sinkt mit kraft- und vor allem gefühlvoller Stimme von Liebe und Schmerz und garniert dies immer wieder mit kleinen Spielereien. Minimalistische Beats treffen auf ein durchweg gern mal klassisch agierendes Piano und diverse Vocoder- und Auto-Tune-Spielereien, dass selbst Will.I.Am schwindelig werden könnte. So pitcht sich Blake gern mal zu seinem eigenen Backing-Vokalisten hoch, zerstückelt sie Stimmfragmente auf unterschiedliche Art und Weise und fügt so den im Herzen recht klassischen Balladen eine gewisse experimentelle und dezent verstörende Note hinzu. Seine Stimme agiert dabei als auditiver Anker, der das Gefühl in einer differenzierten Musikalität widerspiegelt. Jamie XX macht hingegen mit Gil-Scott Heron scheinbar was er will und kann. Das Album „We’re New Here“ ist deutlich weniger „Post“ und wesentlich mehr Dubstep, als Kollege Blake. Breakbeats, mal schnell, mal langsamer, jede Menge Samples, seien es verstümmelte Rave-Flächen oder gepitchte Vocals.
An allen Ecken und Enden passiert irgendwas, wenngleich eigentlich gar nicht so viel passiert. Paradoxerweise lebt nämlich auch dieses Album ein wenig von der Reduktion. Und von der markanten Stimme seines Sängers. Wenngleich hier nicht der alte Soul-Man das Zentrum des Geschehens ist, sondern häufig zum Sample an sich verkommt und sich Smiths Spielereien unterordnen muss. Ist ja auch nicht verwunderlich, den streng genommen handelt es sich hier ja um eine Remixplatte. Doch sein rauchiges, erfahrenes Organ ist das Element, das diesem Album tatsächlich bei allem Sampling auch etwas Seele gibt. Herons Blues repräsentiert eine gewisse Reife und Authentizität, welche sich eigentlich ein wenig mit den urbanen Beats des Jung-Produzenten beißen müsste, sich aber am Ende doch ganz ordentlich fügt. Vergangenheit trifft, na ja, sagen wir mal die Gegenwart zumindest. Die Kombination eines klassischen Soulgesangs mit hippen Soundspielereien mag sicher nicht sonderlich innovativ sein, bleibt aber auch im x-ten Update gewissermaßen reizvoll.
Wer diesen Blog schon lange liest, der weiß, dass ich seit meinem ersten Kontakt mit der britischen Alternative Rock Band The Boxer Rebellion, Ende 2007 auf einem Konzert der Editors, quasi ehrenamtliche Promoarbeit leiste. Konzertkritiken gab’s hier genauso sehr, wie mehr als eine geschriebene Lobpreisung auf die musikalischen Ergüsse des Londoner Quartetts. Ich habe diese Band so vielen Menschen ans Herz gelegt, sogar eine überteuerte Ur-Import-Version ihres Debüts nebst T-Shirt gekauft. Die Band hatte es auch nötig. Denn leider wollte sich der Erfolg trotz fantastischer Musik nicht richtig einstellen. Nach dem Debüt „Exits“ wurde man beim Major rausgeworfen, der Nachfolger „Union“ wurde erst jahrelang aufgeschoben und ein Publisher gesucht, bevor man es am Ende vorerst nur digital auf eigene Faust veröffentlichte und somit als erste Band ohne Label, die US-Charts knackte. Und sich permanent live hochspielen tat und tut man sowieso. Lange Rede, kurzer Sinn, diese Band ackert für ihren Erfolg und nun sollen, im Jahr 2011, mit dem dritten Album, endlich die Früchte dieser Arbeit geerntet werden. Endlich!
Den Vorwurf, es beim zweiten Album immer etwas zu übertreiben müssen sich ja viele Newcomer gern mal gefallen lassen. Gab es im Laufe der letzten Jahre genug… Einfach mal bei Bloc Party, den Killers oder Editors nachfragen. Alles muss eine Spur größer, perfekter, ausgefeilter und ausladender von statten gehen. Warum? Weil man es kann… oder den dringlichen Wunsch verspürt, es zu müssen. Immerhin hat man jetzt Erfolg, etwas Geld und Erfahrung in Sachen Produktion. Warum also nicht in die Tat setzen. Diesen Vorwurf kann und muss man irgendwie auch den White Lies aus London machen. Wenn, ja… wenn das nicht so unüberraschend käme und sie den Schritt nicht irgendwie schon auf dem Debüt gewagt hätten. Schon da ging es gern mal ausladender zu und in Sachen Produktion hat man schon damals dick aufgetragen. Die Nummer Eins im UK gab dem Trio dann auch Recht. Die Mischung dunkler New-Wave-Magie á la Joy Division mit der Radiokompatibilität der Killers funktionierte und warf einige ordentliche Hits ab.


