Kurz und Bündig - 09/10

Fotos – Porzellan
Das Beste gleich zu Beginn. Im Prinzip hatte ich die Fotos schon als nette, aber unwichtige deutsche Indie-Rockband abgestempelt, deren einziger Vorteil damals war, dass sie mal im Gegensatz zur Konkurrenz nicht zu spät dran war, um auf den Trendzug „Großbritannien“ aufzuspringen. Das Debüt bot ordentlichen New-Wave-Indie-Rock und hatte internationales Format, der Nachfolger hatte eigentlich gar nichts mehr zu sagen. Nach einem uninspirierten Auftritt beim Bundesvision Song Contest war dann wohl wirklich die kommerzielle Luft draußen. Und nun das? „Porzellan“ ist das vielleicht überraschendste Album dieses Jahres, eben auch weil sich die Herren komplett neu erfinden und definieren. Man orientiert sich nun an Shoegaze-Größen wie „Jesus And The Mary Chain“, „My Bloody Valentine“ oder auch gern mal den spät-80er-Cure. Das heißt: viel Hall, viel Flächen, viel Echos, viel weite. Die Drums hallen in weiter Ferne, genauso wie die Stimme von Sänger Tom, der seine kryptischen Textbotschaften bereits aus dem Äther zu singen scheint. Sphärische Monster wie „On The Run“ oder „Raben“ treffen auf schnittige Single-Kandidaten, wie „Mauer“ oder „Nacht“. Das funktioniert deshalb so gut, weil man sich eben 1:1 an den Originalen orientiert, aber die deutsche Sprache eben dann doch mal außergewöhnlich in diesem Soundkontext klingt. Klar, Puristen können jetzt beklagen „Den fällt nix eigenes ein“, aber seien wir mal ehrlich: wann ist das in den letzten Jahren noch irgendjemandem? Und gerade in Deutschland. Damit kommen die Fotos von der Ersatzbank wieder ins Spiel und präsentierten ein echtes, kleines Meisterwerk voll andächtiger Schönheit. Davon bitte einen Abzug!
"Porzellan"-Stream bei Simfy
Magic Kids - Memphis
Schlagersänger Chris Roberts wusste es einst: „Du kannst nicht immer 17 sein.“ Recht hat die Schmalzlocke. Am Älterwerden führt ja kein Weg vorbei. Das beweist schon der tägliche Blick in den Spiegel oder jede neue Geburtstagskarte. Aber manchmal wünscht man sich halt, man könnte sich die jugendliche Leichtigkeit bewahren. Die Magic Kids machen das. Der flotte Fünfer aus Memphins, Tennessee hat nicht nur sein Debüt nach der eigenen Heimat benannt, sondern sich auch ganz dem akut gravierenden Surf-Pop-Virus verschrieben. Eigentlich müssten sie aus Kalifornien kommen, so sehr würde diese Faust auf’s Klischeeauge passen. „Memphis“ ist locker, flockig, unbeschwert und dabei so naiv zuckersüß, wie die Beach Boys in ihren besten Zeiten. Inklusive Bläsern, Frauenstimmen und Kinderchören und den ewigen Songs über die große Sommerliebe, das schöne Wetter und die unbeschwerte Freiheit der Jugend. Länger als drei Minuten sind die Songs kaum, müssen sie auch nicht. Dafür versucht man erst gar nicht zu klingen, als wäre man nach den 60er Jahren aufgenommen worden. Mehr retro geht fast gar nicht. Ein kurzweiliger, leicht beschwingter Spaß, der vielleicht, wäre er zwei Monate eher erschienen, ein schönes Sommeralbum geworden. So stellen wir uns dazu lieber nostalgische Bilder von Stränden und lazy Sunday afternoons vor. Ziel erreicht, würde ich sagen.
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Brandon Flowers - Flamingo
Irgendwann reißt auch mal jeder Geduldsfaden. Selbst bei mir. Ich habe Brandon Flowers und den Killers bisher immer die Treue gehalten. Ich habe ihnen das dämlich Pseudo-US-Rock-Album „Sam’s Town“ genauso verziehen, wie die 80s-Pop-Scheibe „Day & Age“, die gar nicht mal so mies ist, wie immer alle sagen. Ich verzeihe Mr. Flowers auch seine krampfhaften Morrissey-Immitationen, aber irgendwann ist ja auch mal gut. Irgendwann muss man sich eingestehen, dass „Hot Fuss“ ein Einzelfall bleiben wird und man einem Künstler daraufhin keine Nibelungentreue schwören muss. Schon gar nicht bei diesem Soloalbum. Kele von Bloc Party hat’s vorgemacht, Paul Smith von Maximo Park folgt nächsten Monat und nun also Brandon Flowers. Trotz Produzent Stuart Price und Albumtitel „Flamingo“ erwartet einen kein glanzvolles Discoalbum (was weniger schlimm gewesen wäre), sondern ein unglaublich belangloses Formatradiopop-Werk, auf denen Flowers schon wieder seine ewig gleichen Songs über das romantisierte Amerika, Gott und das tolle Las Vegas singt. Aber eben alles noch eine Spur langweiliger, austauschbarer und nerviger als auf den alben seiner Hauptband. Ein furchtbares Geseihere, gnadenlos glatt produziert und stimmlich leider wenig variabel. Es scheint so, als kann Flowers nichts anderes und immerhin scheinen seine Bandkollegen da noch einiges herauszureißen. Allerdings sollten diese Songs ursprünglich auch Killers-Songs werden. Das lässt dann doch schlimmes erwarten, denn was hätten die noch retten sollen. Brandon, bitte werde der traurige Las-Vegas-Crooner, der auch mal im Nachmittagsprogramm des schlimmsten Dudelradios laufen kann. Aber erwarte nicht, dass ich dir dabei folge.
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Robyn – Body Talk, Pt .2
Eine Frau, ein Konzept. Robyn schlägt um sich, choreographisch, wie veröffentlichungstechnisch. Den ersten Streich der „Body Talk“ reihe gab’s vor ein paar Monaten, nun folgt der zweite. Über die fragwürdige Veröffentlichungspolitik hatte ich mich damals schon ausgelassen, also lassen wir das an der Stelle mal. Muss jeder selber wissen, ob er sich das in dieser Form kauft. Positiv anzurechnen ist aber die Tatsache, das Teil 2 sogar noch eine Spur besser als der erste ist. Mit Ausnahme des etwas uninspirierten Minimal-Tracks „We Dance To The Beat“ gibt es keine wirklichen Ausnahmen, dafür aber so schöne Elektropop-Songs, wie „In My Eyes“ oder die tolle Single „Hang With Me“. Und natürlich die üblichen „Dicke-Eier“-Songs, wie „Criminal Intent“. Als ob wir mittlerweile nicht schon langsam gecheckt hätten, dass man sich mit der blonden Schwedin nicht anlegen darf. Immerhin hat sie auch Snoop Dogg dabei, der ja momentan keine Dame abblitzen kann. Inhaltslos wie eh und je trägt der Dogfahther aber seinen Teil dazu bei, dass „U Should Know Better“ den Drive bekommt, den es hat. Katy Perry kann schon mal Staub fressen. Am Ende entlässt uns Robyn dann noch mit einer wunderbar traurigen Akustik-Version von „Indestructible“, welches wir dann wie bei „Hang With Me“ beim letzten, dann auf dem nächsten Album mit voller Instrumentierung genießen werden. Bis dahin reicht aber auch dies als Beweis dafür, dass Robyn stimmlich mehr kann, als nur den weißen Elektro-Power-MC zu geben. In Sachen stilvoller Elektro-Hochglanz-Pop ist Robyn also 2010 das Maß aller Dinge. Hier folgt die Bestätigung, der dritte Teil wird daran sicher nicht viel rütteln können.
Exklusiver Album-Stream bei Guardian.co.uk
Oliver Koletzki & Fran - Lovestoned
Und um noch mal kurz einen Abstecher in die Abteilung „Überflüssig“ zu machen: Oliver Koletzki, seines Zeichens Berliner Minimal-Hype hat ein neues Album gemacht. Mit Freundin Fran. Darauf soll es um die Zelebrierung der Liebe gehen, immerhin präsentieren sich die beiden Frischverliebten ja beim Im-Bett-Frühstücken auf dem Cover. Doch ist das die Liebe, wie sie sein sollte? Koletzki und Anhang servieren ein durch und durch belangloses Album, dessen einzige Funktion wohl darin bestehen soll in irgendwelchen hippen Berliner Cafés zu laufen, so sich Menschen auf nen Latte oder ne Bionade treffen und dabei von ihren wichtigen Jobs im Marketing oder den Meeeedien erzählen. Alles was man an diesem Klischee hasst, repräsentiert „Lovestoned“. Langweilige elektronische Hintergrundbeschallung, die selbst für reinen Minimal zu dröge ist. Ich würde das deshalb wirklich gern als Café-Lounge-Musik abstempeln, bei welcher vermutlich Kalkbrenner beim druffen Nacktfrühstücken einschlafen würde. Janz schön langweilig, Altaaa! Und dazu säuselt uns Fran noch belanglose Texte daher, von Kissenschlachten, Kaffeetrinken (siehe an!) und Fahrradfahren an der Spree. Wo ist das Feuer, die Leidenschaft? Aber ich möchte hier auch nicht die Beziehung des jungen Paares Koletzki analysieren. Für Menschen, welche auf diese Musik stehen und in einer ähnlichen Lebenswelt, wie die beiden Protagonisten verkehren ist das vermutlich die schönste und coooolste Musik auf Erden. Für den Rest wohl einfach nur überflüssig und verzichtbar.
Album-Stream bei MySpace

Die sehr feinen Klaxons haben nun schon vor geraumer Zeit ein neues Album namens Surfing The Void zu Markte getragen. Dieses sollte auf dieser Seite besser mal besprochen werden. So soll es nun hiermit geschehen.
Nein, gute Vorzeichen sehen anders aus. Der schmerzliche Weggang von Carlos Dengler, die ungewissen Äußerungen über die Zukunft und dann auch noch ein selbstproduziertes Album, welches genauso heißt, wie die Band. Das macht man ja meist, wenn einem sonst nix mehr einfällt. Das vierte Album von Interpol hatte einen holprigen Start und wird jetzt ungewollt zum Schicksalswerk erkorren, welches über die Zukunft des Neu-Trios entscheidet. Mann, Mann, Mann! Als ob die New Yorker nicht schon an sich große Fußstapfen gehabt haben, die sie ausfüllen müssen. Nämlich ihre eigenen. Kaum eine Band hat es in den vergangenen Jahren geschafft, mich musikalisch so zu erfüllen, wie diese Band. Als ich Ende letzten Jahres meine Lieblingsalben der ausgehenden Dekade aufgestellt habe, waren sie die Einzigen mit drei Alben in den Top 25. Das will einiges heißen und das lässt auch einiges erwarten. Wohin geht die Reise? Schwanengesang oder Neubeginn?

Denn eigentlich, muss ich gestehen, hatte ich zuletzt ein wenig die Lust an dem Quartett aus Berlin verloren, nachdem ich schon seit dem 2003er Debüt „Die Reklamation“ an vorderster Front dabei war. Die Nachfolgealben steigerten sich sogar noch, soundtechnisch stagnierte die Band aber auf dem 2007er „Soundso“, wenngleich aber auf sympathisch hohem Niveau. Aber irgendwann hat sich das Prinzip der ewig quirligen Gitarrenpop-Band mit NDW-Anleihen halt auch etwas ausgereizt. Trotzdem blieben die Helden vor allem stets ein was, und zwar hochgradig authentisch und sympathisch. Irgendwie waren sie der durchschnittlichen deutschen Konkurrenz immer einen Schritt voraus in Sachen Wortwitz, Intelligenz und „Unpeinlichkeit“. Jetzt also die Rückkehr, nach Baby- und Bandpause. Und was für eine Rückkehr! Im Prinzip hatte ich in der Form schon gar nicht mehr damit gerechnet, aber das Viertwerk „Bring Mich Nach Hause“ ist das bisher überraschendste, reifste und somit auch beste Helden-Album bisher. Hier spielt keine hippe Nachwuchsband mehr auf, sondern gereifte Musiker, die sich ihren Status in der hiesigen Poplandschaft nicht mehr großartig erspielen müssen, sondern den bewussten Schritt nach vorn gehen. Das neue Album ist jetzt aber, wie gesagt, keine bierernste Angewohnheit, es geht aber generell etwas nachdenklicher und tiefgründiger zur Sache. Vielleicht liegt’s halt auch am Elternglück das Paares Holofernes/ Roy, vielleicht auch einfach an einer distanzierten Sichtweise auf die Dinge. „Bring Mich Nach Hause“ handelt vom Suchen und Finden, mit einer gewissen Gewichtung auf ersteres vielleicht. Single und Opener „Alles“ präsentiert sich als kleine Motivations-Hymne und Gegenpol zu den täglichen Existenzängsten, während der Titeltrack ein verzweifeltes Flehen von Frau Holofernes zu sein scheint, in welchem sie den Weg nach hause sucht. So weht allen Songs ein gewisses Gefühl von Melancholie bei. Die nachdenkliche Ballade von Wolfgang und Brigitte zum Beispiel über die Tücken der Liebe oder das unglaublich traurige „Meine Freundin war im Koma…“, bei welchem Judith mit brüchiger Stimme auf leisem Piano versucht, den Verlust einer Freundin zu verarbeiten. Das Leben ist kein Ponyhof, wenngleich das Quartett auch die schönen Seiten nicht auspaart. „Was Uns Beiden Gehört“ verbreitet gute Laune, auch „23:55, Alles Auf Anfang“ hat ordentlich Schmackes, während mit der Powerpop-Nummer „Kreise“ schon eine nächste potentielle Single in den Startlöchern steht.
Verkehrte Welt. Bands tendieren ja gern mal dazu sich mit zunehmender Albumzahl immer pompöser und durchdachter zu geben. Mögen es die neuen finanziellen Möglichkeiten sein oder das gewachsene Wissen in Sachen Produktion. Oder vielleicht gar die Tatsache, dass man sich auf einmal zu Höherem und Größerem berufen fühlt. Wie auch immer… Arcade Fire machen’s irgendwie anders herum. Müssen sie ja sozusagen auch, immerhin haben sie mit ihren ersten beiden Alben die komplette Anfangsphase übersprungen. „Funeral“ war 2004 für ein Debüt schon unglaublich ausgereift, episch und hat Fans in der ganzen Welt gefunden. Kritiker und Mitmusiker von Bono bis Bowie waren auf der Seite des kanadischen Künstlerkollektives. Der Nachfolger „Neon Bible“ machte dann alles noch größer und perfekter und die Jubelschreie wurden immer lauter. Live sind Arcade Fire sowieso eine Messe, gelten generell nach nur zwei Alben als eine der besten zeitgenössischen Bands der Welt. Was soll da noch kommen? Auflösung? Kompletter Größenwahn? Wilde Experimente? Fast… „Rückbesinnung“ heißt das Zauberwort.